Neues Hansemuseum

Am 27. Mai 2015 eröffnet Bundeskanzlerin Angela Merkel das weltweit größte Hansemuseum, das Europäische Hansemuseum in Lübeck. Copyright Foto: Europäisches Hansemuseum Lübeck / Thomas Radbruch

Ich durfte nach der ersten Eröffnungs-Pressekonferenz bereits das fünfzig Millionen Euro teure Museum besichtigen und möchte euch berichten, warum sich der Besuch lohnt.

DER ERSTE EINDRUCK

Die denkmalgeschützen Hafenschuppen im Rücken wandert der Blick den neu gestalteten Burghügel hinauf. Eine massive Mauer aus beige und rostrot gefleckten Backsteinen umgibt das weltweit größte Museum zur Geschichte der Hanse. Die Ziegel sind, wie ich später erfahre, ein Gemeinschaftsprodukt in der Tradition der Hansekaufleute: Sie wurden eigens für das Hansemuseum entworfen, sind aus englischem Ton und wurden als Gasbrand in Dänemark gefertigt. Etwa 100.000 Stück wurden hergestellt, davon waren ca. 7.000 Sonderformsteine.

Fenster und eine Dacterrasse geben den Blick auf die Trave, diese Lebensader Lübecks frei. Die Terrasse ist ein perfekter Ort für ein Café, das es tatsächlich demnächst hier geben soll. Eine breite Treppe und ein Fahrstuhl führen zum Museumseingang und verbinden den Hafen mit der höhergelegenen Altstadt und dem restaurierten Burgkloster, das Teil des Hansemuseums ist. Treppe und Fahrstuhl sind öffentlich nutzbar und werden sicher – nicht nur von den mobilitätseingeschränkten Besuchern und Bewohnern genutzt werden. Meterhohe Metalltüren mit eingestanzten grafisch verfremdeten Schriftzeichen bilden den Eingang zum Museum. Die Türen beeindrucken, signalisieren aber auch Wohlstand und Verlässlichkeit – ein erster Eindruck, den sich sicher jeder Hansekaufmann gewünscht hätte. Doch bevor es ins Museum geht, noch ein kleiner Blick auf die Baugeschichte und die – ebenfalls typisch hanseatischen –Besonderheiten.

DAS VORHABEN

Von 2004 bis 2008 wurden erste Machbarkeitsstudien über den Bau eines Hanse-Museums auf dem Lübecker Burghügel in Auftrag gegeben. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Kosten für das Museum mit 25 Millionen Euro kalkuliert. Von Anfang an war die Possehl-Stiftung an Bord, die letztlich mit vierzig Millionen Euro den Löwenanteil des fünfzig-Millionen-Baus finanzierte – ein erstaunliches Engagement!

Schon im Mittelalter wurde es toleriert, dass ein Kaufmann Gewinn machte – solange er einen Teil für gute Zwecke spendete. Auch der Lübecker Kaufmann Emil Possehl, der durch den Erzhandel reich wurde, fühlte sich der Gemeinnützigkeit verpflichtet. 1915 setzt er in seinem Testament die Possehl-Stiftung zur Erbin seines gesamten Firmenvermögens ein. Sie soll der »Förderung alles Guten und Schönen in Lübeck« dienen. „Emil Possehls Testament entsprechend trägt der Stiftungsvorstand Sorge für die Vermögenserhaltung und Vermögensverwaltung des Unternehmens. So hat der Stifter weitsichtig die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Fortbestand seiner Unternehmensgruppe gesichert und gleichzeitig die Unternehmenserträge seiner Heimatstadt zu Gute kommen können“, heißt es auf der Seite der Stiftung. Die Possehl-Stiftung ist die größte der etwa hundert Stiftungen in Lübeck.

Dass sich die Kosten verdoppelt hatte, sei jedoch nicht auf Fehlplanungen zurückzuführen: „Das lag auch am schwierigen Baugrund. Es wurde bis zu dreizehn Meter in die Tiefe gegraben – und alles musste archäologisch aufbereitet werden, das hat viel Zeit gekostet. Immerhin wurden mindestens 10.000 Fundstücke katalogisiert. Auch innerhalb der Konzeption hat es teure, aber lohnende Veränderungen gegeben“, fasst Renate Menken, seit 2009 Vorsitzende der Possehl-Stiftung, zusammen. Weitere 9, 4 Mio. Euro kamen vom Zukunftsprogramm der EU. Die Restaurierung des Burgklosters wurde finanziert durch Welterbemittel des Bundes.

Bernd Saxe, Lübecks Bürgermeister, strahlt glücklich bei der Pressekonferenz: „Es kommt nicht oft vor, dass man ein 50-Millionen–Euro-Geschenk bekommt.“ Lübeck sei als „Königin der Hanse“ der beste Ort für ein derartiges Museum. Etwa 130.000 Besucher werden pro Jahr im Europäischen Hansemuseum erwartet.

Für den Bau des Europäischen Hansemuseums ist der Architekt Andreas Heller verantwortlich, der bereits einige interessante Museen gebaut hat und u.a. mit dem Europäischen Museumspreis für das Deutsche Auswanderermuseum in Bremerhaven ausgezeichnet wurde. „Das Museum besticht durch moderne Architektur, die aber die Formensprache der Hansestadt und des Backsteins aufnimmt. Es spricht die Besucher auf radikal verschiedene Weise an. Wir wollten Hansegeschichte lebhaft vermitteln, empathisch nachempfinden, aber auch der anderen Seite auch in zahlreichen wertvollen Originalobjekten verdeutlichen“, erklärt Andreas Heller. Komplettiert wird dies durch die Medialisierung des Museums in vier Sprachen – Deutsch, Englisch, Schwedisch, Russisch – und ein Ticket, das für Hörstationen, interaktive Monitore und den Audioguide individuell nutzbar ist. Einer der Sprecher ist übrigens der beliebte Filmschauspieler Peter Lohmeyer. „Radikal anders“ sei der Wechsel der Präsentation im Museum. Andreas Hellers Lieblingsstück im Museum ist übrigens eher klein und zerbrechlich: ein Stück Birkenrinde aus Nowgorod, das ca. 1380 von Hansekaufleuten für Notizen genutzt wurde.

Die Museumsdirektorin Dr. Lisa Kosok will das Europäische Hansemuseum zu einem Ort machen, der Austausch ermöglicht. So soll es viele Sonderveranstaltungen u.a. im Bereich „Hanselabor“ geben. Davon, dass das Thema noch viel bietet, sind alle Macher überzeugt: „Wir haben das Gefühl, wir sind ganz am Anfang der Erforschung der Hansegeschichte“, betont Andreas Heller.

DAS MUSEUM

„Nicht die Geländer anfassen! Frisch gestrichen!“, ruft der Architekt Andreas Heller, der uns höchstselbst durchs Museum führt. An einigen Stellen wird noch heftig gebaut, doch zur Eröffnung soll alles tiptop sein.

Durch den Eingangsbereich mit einer großzügigen Gastronomie mit Blick auf die Trave, der Kasse und einem Shop geht es in den ersten Abschnitt. Grob behauene Wände, daneben Rohre, altes Mauerwerk und ein Sood zur Wasserversorgung – es ist, als ob man eine archäologische Grabungsstätte betritt. Auf nur wenigen Metern zeigt sich, wie auf dem Lübecker Burghügel die Geschichte verdichtet und im Erdreich ablesbar ist – von der alten Slawensiedlung um etwa 800 bis in die heutige Zeit. Es wird ganz deutlich: dies ist kein Museum „auf der grünen Wiese“, sondern wir befinden uns auf geschichtsträchtigem Boden.

Große Türen führen in zur ersten Themenstation. In diesen Räumen können die Besucher besondere Schlüsselereignisse der Hansegeschichte in rekonstruierten Szenen erkunden. „Alle rekonstruierten Szenen basieren auf dem gegenwärtigen Forschungsstand und wurden mit großem Aufwand historisch so getreu wie möglich nachgebildet“, betont Direktorin Dr. Lisa Kosok.
Nun also die Station „Die Anfänge: Newa und Nowgorod 1193“: Es ist dunkel. Unheimliche Geräusche dringen an mein Ohr. Hohes Schilf ragt an den Weg. Dahinter zwei Koggen, schwer beladen mit Ballen. Tote Vögel hängen in der Takelage, Bordproviant. Fässer, Waffen. Im Hintergrund eine Leinwand, ein Flussdelta, weitere Bilder, suggestiv. „Damals war der Handel in Russland gefährlich. Die Kaufleute waren bewaffnet bis an die Zähne, wurden von Banden und Mongolen bedroht“, erläutert der Museumsmacher Heller. An Texttafeln und Stationen lassen sich die Hintergründe des Handels zu der Zeit erfahren. Alles ist sehr anschaulich, detailgenau und dennoch gut verständlich, ist mein Eindruck. Ein stimmungsvoller, informativer Auftakt, der Lust auf mehr macht. 

Der nächste Raum ist schicht, hellgrau mit Glaskästen und Vitrinen. Typisch Museum – und doch angenehm sachlich nach der Rekonstruktion davor. Es gibt kunstvoll geschnitzte Gestühlswangen aus der Nowgoroder Zeit zu sehen, aber auch Archivalien aus der Gründungszeit Lübecks.

Ab jetzt wechseln sich rekonstruierte Stationen und eher klassische Museumsräume ab – angenehm und informativ. Die Leihgaben stammen nicht nur aus Lübeck, sondern aus vielen anderen Museen und Archiven weltweit.

„Stadtwerdung und Stadterweiterung: Lübeck 1226“ ist die nächste Station. Ich habe das Gefühl, direkt durch eine mittelalterliche Baustelle zu gehen. Eimer mit Bauwerkzeug hängen über dem Weg, es scheint, als seien die Maurer und Zimmerleute nur eben in den Gasthof gegangen. Auch ein Teil der historischen Stadtmauer wurde hier rekonstruiert, wie man sie außerhalb des Museums am Burgtor erahnen kann.

Die Station „Welthandelsplatz Brügge 1361“ ruft die Olde Halle in Brügge wieder ins Leben: Hier wurden mit großem Aufwand Waren und Stände rekonstruiert. Es gibt u.a. den Stand eines Helmschlägers, eines Gewürzhändlers und natürlich Stoffe und Felle zuhauf. Das Textilmuseum in Antwerpen beriet bei den Stoffsorten, gewebt wurden die Tuche eigens  von einer Kunstwerberin in Madagaskar, die mit historischer Technik arbeitet.

„Der Schwarze Tod in Lübeck“ heißt die nächste Station, die sich wieder atmosphärisch und informativ mit der Pest 1367 in Lübeck befasst, die damals den halben Rat hinwegraffte. Erfreulicherweise wird trotz des Themas auf blutige und sensationsheischende Szenen verzichtet.

Kernstück von „Handelsmetropole London im 15. Und 16. Jahrhundert“ ist ein Stadtplan mit den Modellen von 13.500 Häusern, der aufzeigt, wo niederdeutsche Kaufleute gelebt haben. Auf einer Leinwand werden die Hans Holbein-Gemälde aus dem Stalhof, dem Sitz der Hansen in London, gezeigt und erläutert, die das Selbstverständnis der Hansen illustrieren. Auf der anderen Seite die berühmten Holbein-Gemälde der Kaufleute erläutert. „Die Zeit war der absolute herrschaftliche Höhepunkt der Hanse“, sagt Museumsmacher Andreas Heller – und doch war die Hanse schon im Niedergang begriffen. Nicht nur die Entdeckung der Neuen Welt wird bald ihr Geschäftsmodell schädigen.

Beeindruckend ist die nächste Rekonstruktion: „Diplomatie und Politik: Hansetag in Lübeck 1518“. Der alte Hansesaal des Lübecker Ratshauses wurde z.T. wiederhergestellt. Die Besucher können auf den Ratssitzen Platz nehmen und mit Hilfe der hochmodernen Technik sich dort u.a. über die einzelnen Hansestädte informieren.

„Wenn man die damaligen Ratsprotokolle liest, fühlt man sich an heutige Zeiten erinnert“, sagt Andreas Heller. Genauso geht es mir auch bei der Recherche zu meinen Romanen – und das ist es wohl auch, was die Faszination der historischen Romane ausmacht.

„Glaube und Religion 1517“ heißt die folgende Station, für die in Wachs täuschend echt Dominikanermönche nachgebildet wurden, die in einem Pulk beisammenstehen und zu murmeln scheinen – durch diese bedrückende und etwas unheimliche Inszenierung ahnt man, wie sehr die damaligen Menschen den Zorn Gottes gefürchtet und seiner Vertreter auf Erden gefürchtet haben.
Der Eindruck bleibt haften, als wir zum Burgkloster wechseln, in dem sich der Rest der Ausstellung befindet. Das ehemalige Dominkanerkloster wurde aufwändig restauriert und ist jetzt wieder in seiner ganzen Schönheit zu sehen. Besonders beachtenswert sind der älteste Teil, die Lange Halle, die bereits den Dänen als Palas diente, und das historische Schöffengericht.

Im Burgkloster befinden sich auch die Stationen „Das Hansekontor zu Bergen 1774“ – sehr schön nachgebaut, samt Stockfischen und Schlafkojen für die Lehrjungen und Gesellen – und das Hanselabor, das sich u.a. mit dem Mythos Hanse beschäftigt. 

Eine letzte Station bleibt, ein Raum, in dem in einer Art Kunstinstallation dem Niedergang der Hanse widmet. Überlebensgröße Kaufmannsfiguren, weite Leinwände, auf denen Drucke und Gemälde den Zeitenwechsel u.a. mit dem Dreißigjährigen Krieg Revue passieren lassen. Bänke, auf denen man sich niedersetzen und die Eindrücke wirken lassen kann. Dazu Musik. David Bowies „Changes“ – eine ungewöhnliche, aber ungemein passende Wahl für ein Museum, das bei hohem Anspruch klassisch und modern zugleich ist. Ich komme gerne wieder …

Samstag, 2. Februar 2019

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