Die Waisenhäuser Amsterdams ab dem 16. Jahrhundert

„Diese Stadt wird reichlich von Gott gesegnet / wegen der Inwohnere Mildigkeit gegen die Notleidenden: derer keinen man darben / viel weniger offentlich betteln lässet / sondern sie in hierzu verordneten Häusern / (…) wol verpfleget und versorget“, schreibt der Reisende Sigismund von Birken 1661 über die Armen- und Waisenhäuser Amsterdams. Und: „An Waysen- und Armenhäusern ist in Amsterdam eine große Menge, und beynahe so viel, als gebildete Religions-Verwandten.“ 1666 staunt der reisende Theologe Friedrich Lucä: „… und sind zumal die Amsterdamer Armenhäuser nach dem Rathaus die größten Palatia der Stadt.“

Wie außerordentlich und besonders die Wohlfahrtspflege in Amsterdam – also die öffentliche Sorge für Arme, Alte und Waisen – gewesen ist, kann man heute noch am besten den Reiseberichten aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert ablesen. Der Umgang Amsterdams mit Armen, Alten und Waisen sorgte für Nachahmer: in der Folge entstanden in vielen anderen Städten Waisen-, Zucht- und Spinnhäuser nach Amsterdamer Vorbild. Ich schildere in „Krone der Welt“ eher die Frühphase dieser Entwicklung.

Das erste Amsterdamer Waisenhaus war 1520 von Bürgern für Bürgerkinder eingerichtet worden. Finanziert wurde es durch großzügige Stiftungen, vor allem durch die Bürgerin Haesje Claesdr („meine“ Waisenmutter Haesje ist nur eine kleine Reminiszenz an diese großzügige Frau).

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Nach der Schließung der Klöster durch die Calvinisten und die Alteratie – den mit einem Religionswechsel verbundenen Umsturz in Amsterdam – wurden große Räumlichkeiten in der Stadt frei. Bereits 1580 wurde das Sint Lucienklooster zum Bürgerwaisenhaus umgewidmet (heute Teil des Amsterdam Museum). Der Baumeister Joost Jansz Bilhamer bekam den Auftrag zum An- und Umbau, später setzten Architekten wie Hendrick de Keyser und Jacob van Campen dieses Werk fort. Das Almosenierswaisenhaus (städtisches Armen- und Waisenhaus) folgte. Daneben gab es weitere kirchliche Waisenhäuser sowie Wohltätigkeitsstiftungen. 1666 kam ein großes Waisenhaus an der Prinsengracht (Nr. 434-436) hinzu. Das Gebäude ist noch erhalten, allerdings stammt die Fassade von 1829.

Der frühere Eingang des Bürgerwaisenhauses in der Kalverstraat. Eine Kopie des Reliefs von J.J. Bilhamer. Foto: André Poling

Der Bedarf war hoch. Oft ist die Rede davon, dass 800 bis 1000 Waisen versorgt worden sind. Zwischen 1680 und 1700 geht man von etwa 3800 Waisen aus – allein in Amsterdam. Um die Kinder zu nützlichen Bürgern heranzuziehen, wurden diese unterrichtet. Jungen und Mädchen ab 10 Jahren wurden häufig tagsüber zum Arbeiten (z.B. Hafenarbeiten, Spinnstube etc.) weggeschickt. Die Jungen wurden früh an einen Lehrherrn vermittelt, während die Mädchen im Waisenhaus meist eine zusätzliche Ausbildung (z.B. Haushaltsführung, Kochen, Spitzenklöppeln) erhielten. Die Kinder trugen eine Uniform in den Stadtfarben. Verwaltet wurden die Waisenhäuser von einem Gremium von Regentinnen und Regenten, also führenden Bürgern (die sich dabei auch gerne porträtieren ließen). Das tägliche Geschäft übernahmen die „Binnenmutter“ und der „Binnenvater“. Einige Speisepläne sind erhalten, so dass wir wissen, dass die Ernährung nicht sehr abwechslungsreich, aber nahrhaft war. So gab es beispielsweise im Bürgerwaisenhaus von November bis Februar und von Juni bis September an Samstagen mittags immer Weiße Bohnen mit Stockfisch, einem Stück Brot und Butter. Abends bekamen die Kinder dann Buttermilch mit Brot oder Brot mit Butter und Sirup.

By Abraham de Vries – Amsterdam Museum, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=27658680

Das Gebäude an der Kalverstraat diente bis 1960 als Waisenhaus. Heute ist in dem früheren Bürgerwaisenhaus das Amsterdam Museum untergebracht. An der Pforte über der Kalverstraat erinnert eine Kopie des Waisenreliefs von 1581, das Joost Jansz Bilhamer gestaltete, daran. In der Inschrift wird um eine Spende für das Waisenhaus gebeten. Wer tiefer in die Geschichte eintauchen will: Die interaktive Ausstellung „Het Kleine Weeshuis“ im Amsterdam Museum widmet sich kindgerecht und interaktiv dem Leben der Waisenkinder im 17. Jahrhundert.

McCants, Anne E.C. Civic Charity in a Golden Age, 1992

Philips, Derek L. Well-being in Amsterdam’s Golden Age

Van Manen, C.A. Armenpflege in Amsterdam, 1912

https://www.amsterdammuseum.nl/de/das-kleine-waisenhaus
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