Sylter Tagebuchfund aus dem Jahr 1947

1947. Hamburg liegt in Trümmern. Eine Gruppe Jugendliche wird nach Sylt verschickt. Das Tagebuch zeigt die Insel, wie es sie schon lange nicht mehr gibt. Dort gibt es kaum Häuser, verfallene Bunker, die „Rasende Emma“ und vor allem frische Schollen im Überfluss. Der Tagebuchschreiber beschreibt das Heim „Puan Klent“, Hunger, Wanderungen und Handballturniere gegen die Hörnumer Jugend. Ein berührendes Dokument.

Als echtes Nordlicht habe ich seit meiner Kindheit Verbindungen nach Sylt, weshalb ich die Insel als Schauplatz meiner Krimi-Reihe um die Kommissarin Liv Lammers ausgewählt habe. Meine Eltern hat es früher schon auf die Insel getrieben. Aus einem Nachlass aus meiner Familie ist jetzt ein Tagebuch aus dem Jahr 1947 zu mir gekommen, das ich hier z.T. öffentlich machen möchte, weil es ein interessantes Zeitdokument darstellt. Eine Kopie des Tagebuchs wird demnächst im Sylter Archiv einen Platz finden.

Hier nun also ein Auszug des Tagebuchs.

Unsere Klassenreise nach Sylt (1947)

Teil 1: Die Vorbereitung unserer Klassenreise

Wir wollen in diesem Jahr nun endlich eine Klassenreise machen, aber wohin? Der Jugendherbergsverband schickte eine Liste mit dem Verzeichnis aller Jugendherbergen und Heimen aus der britischen Zone, welche durch die Klasse zirkulierte. Ins Gebirge oder ans Meer, so hieß unsere Losung. Puan Klent und Stein stehen sich gegenüber. Wir machen unserem Lehrer den Vorschlag uns für Puan Klent anzumelden, denn dort soll die Verpflegung besser sein. Unser Lehrer war mit dem Vorschlag sofort einverstanden. (…) Unser Lehrer ging zur Schülerfürsorge, um für Schuhe, Unterwäsche und Strümpfe einzureichen, denn wir haben gehört, dass man dort am leichtesten Bezugsscheine bekommt. Wir erhielten jedoch auch hier keine Bezugsscheine. Was soll aus unserer Fahrt werden? Jetzt wussten die Mütter wieder Rat. Alte Unterwäsche wurde hervorgesucht, um damit die neue, welche auch schon nicht mehr neu war, zu flicken. (…) Der Schularzt bewilligte die Reise sofort, da wir alle im Trümmergebiet wohnen und uns ein Luftwechsel sehr gut tun wird. Wir sind von unserer Sylt-Fahrt so begeistert, dass wir schon eine Sylt-Karte zeichnen und in den Pausen nur noch von Puan Klent sprechen. Als wir gerade die Insel Sylt besprechen und auch die Gefahren des Badens in der Nordsee, da bekommen wir Bescheid, dass unsere Reise am 24.5.1947 losgehen kann. Die Freude ist riesig. (…) Kurz darauf kommt die Heimordnung bei uns an und unser Lehrer liest uns sofort daraus vor. Daraus ersehen wir, dass in Puan Klent gleich nach der Kapitulation die Polen waren, die gleich in den ersten Tagen alles demoliert haben. Nun werden wir noch schnell gewogen. Wir kommen zu dem erschreckenden Ergebnis, dass fast alle abgenommen haben, so dass der Aufenthalt in Puan Klent sehr nötig ist. Noch immer wissen wir nicht, was wir an die Füße ziehen sollen, da bekommen wir durch die Schülerfürsorge eine Schuhreparaturwerkstatt der Schweden-Hilfe zugewiesen. (…) Als wir endlich unsere Schuhe hatten, stürmten wir nach Hause, um dort den Koffer zu packen. Freudig sahen wir unsere Abreise entgegen.

Zweiter Teil: Unsere Fahrt nach Puan Klent

Nach diesen langen Vorbereitungen ist es nun endlich soweit: heute soll unsere Fahrt nach Puan Klent losgehen. Es ist erst 06:45 Uhr und doch ist die Klasse schon versammelt, als ich mit der Straßenbahn ankomme. (…) Unser Gepäck wird auf dem Autobus verstaut und wir machen schnell eine kleine Sitzprobe. Als wir losfahren, beginnt es zu Schmuddeln, so dass wir Angst haben, unsere Koffer können aufweichen. Hinaus aus der Stadt, aus den Trümmern geht die Fahrt. Links und rechts umsäumen grüne Knicks die Straße. Unsere Fahrt geht durch kleine schmucke Bauerndörfer auf Neumünster zu. Hier merkt man nichts mehr von der Zerstörung, von welcher Hamburg so schwer heimgesucht war. Wir atmen auf. Endlich aus den Trümmern der engen Großstadt heraus. Soweit das Auge reicht, Wiesen und wogende Kornfelder im hügeligen Land, worin vereinzelt oder zu Dörfern vereinigt die roten Häuser malerisch hineingesetzt sind. Neumünster – welch ein anderes Bild als Hamburg. Kaum ein zerstörtes Haus, nirgends Schutt oder Trümmer. Weiter und weiter geht die Fahrt. Wir bekommen Hunger und beginnen zu frühstücken. Die Eltern haben getan, was sie konnten, so dass wir alle zufrieden waren mit unserem Frühstück. (…) Außerdem denken wir immer wieder: 14 Tage von Hamburg fort, welch eine Aussicht! Was das nicht alles heißt, 14 Tage keine Trümmer, keinen Großstadtlärm, sondern, wenn wir Glück haben, 14 Tage Sonnenschein und Entspannung. Rendsburg mit der Hochbrücke kommt in Sicht. Eine gewaltige Brücke, mit der großen Anlaufbahn. Schon sind wir mitten im Verkehr von Rendsburg. Wir haben großes Glück und sehen gerade noch, wie die Drehbrücke sich schließt. Gleich nach Rendsburg fängt wieder das bewaldete Gebiet an. Düstere Tannenwälder lösen sich mit hellen Tannenschonungen ab. Vor einer solchen Tannenschonung machen wir eine kleine Rast. Wir laufen hinein in den regennassen Wald, um den würzigen Duft einzuatmen. Hinein in den Autobus und weiter geht die Fahrt auf Flensburg zu. Wir sind jetzt an der Flensburger Förde und haben eine Pause eingelegt, um uns die Förde anzusehen. (…) Doch wir wollen weiter, nur weiter. Endlich sind wir in Niebüll, doch der Zug hat, wie wir im Bahnhof erfahren, 60 Minuten Verspätung. Dann läuft der überfüllte Zug ein. Über den Hindenburgdamm, neben dem sich an beiden Seiten das Wattenmeer ausbreitet, geht die Fahrt auf die im Sonnenglanz leuchtenden Dünen von Sylt zu. Viele von uns sehen zum ersten Mal das Meer, deshalb staunten wir auch über die Fläche des Wattenmeeres, über die emsig trippelnden Strandläufer, über das viele Wassergeflügel und über die weißen Friesenhäuser, mit den windschiefen Bäumen davor. Schon sind wir in Westerland. Die „Rasende Emma“ soll uns nun zum Ziel bringen. Wir sehen jetzt wieder sehr neugierig auf die Landschaft. Auf der rechten Seite sind die gelben Dünen, auf der linken Seite das große Wattenmeer. Hinter Rantum sind auf beiden Seiten Dünen, welche mit Rauschelbeeren und spärlichen Gräsern bewachsen sind. Puan Klent, das Heim, liegt vor uns. Unser Reiseziel ist erreicht.

Dritter Teil: Ein Puan Klenter Tageslauf

Nun Leben wir schon seit drei Tagen hier in Puan Klent auf Sylt. Unser Heim ist, wie wir festgestellt haben, die einzige menschliche Ansiedlung in dieser Gegend. Am Morgen können wir nicht einmal unser Wirtschaftsgebäude sehen, denn es liegt hier oftmals ein ziemlich starker Nebel. Dasselbe habe ich auch heute morgen festgestellt. Vor etwa fünf Minuten wurden wir mit einem mordsmäßigen Gebimmel geweckt. Oh, wie oft haben wir in den drei Tagen diese Glocke schon verwünscht, denn sie wurde nur zu den Essenszeiten gern gesehen. Ich habe Glück und erwische noch einen freien Wasserhahn aber schon fünf Minuten später herrscht hier Hochbetrieb und kein Wasserhahn ist mehr frei. Betten machen dann die Frühstücksglocke. Nach dem Frühstück ist eine der täglichen Konferenzen in der Kajüte. Sport oder Pflanzenbestimmung heißt unser heutiges Beratungsthema. Wir machen beides. In der Pflanzenbestimmung schlafen die Sportler, in der Sportstunde schlafen die Biologen. In der Sportstunde brennt die Sonne schon wieder erbarmungslos und heiß vom Himmel, so dass wir froh sind, als wir zum Heim zum Mittagessen gehen dürfen. Die unangenehmste Beschäftigung des Tages ist der Mittagsschlaf. Wir haben schon oft dagegen protestiert, aber es hat nie etwas genützt. Mit einem großen Sonnenbrand wachten wir vom Mittagsschlaf, welchen wir in den Dünen hielten, auf. Danach machten wir in den Dünen verschiedene Sprungübungen. Im Wasser müssen wir uns schnell abkühlen. Wir tummeln uns noch lange im Wasser herum, sodass wir fast zu spät zum Abendessen kamen. Nach dem Abendbrot ist Freizeit. Wir gehen, allen Sportlern zum Trotz, denn die Sportler wollen mit uns Handball spielen, zur Westseite, um uns dort zu Vergnügen. Wir fahren mit dem Schlauchboot und bauen Burgen, um sie wieder zu zerstören. Mit Getobe geht es über die Dünen zum Heim, aber wie groß ist unser Schrecken, als wir auf einmal im Naturschutzgebiet vor dem Heim sind. Das Herumlaufen hierin ist streng verboten. Also schnell heraus aus diesem Gebiet! Wir putzen schnell unsere Schuhe, um das Wunschkonzert aus Stube Drei zu hören. Es wird jedoch gewaltsam unterbrochen, als unser Lehrer plötzlich im Sendesaal steht, da wir ja schon lange schlafen sollten.

Vierter Teil: Ein Spaziergang nach Hörnum

Ein strahlender Sommermorgen weckt uns. Schnell springen wir aus dem Bett, waschen uns, um dann zum Frühstück zu gehen. Wer mag bei diesem Wetter Briefe schreiben oder Unterricht machen, so denken auch wir, und deshalb beschlossen wir, einen Ausflug zu machen. Wir wollen in den nächsten Tagen einmal zum Schollenkaufen gehen. Welch eine herrliche Gelegenheit, um auszukundschaften, wie man das am besten macht. Auf welcher Seite wollen wir gehen? Eine Gruppe möchte am Meere, die andere am Watt gehen, doch einigen wir uns, an der Wattseite zu gehen. Also am Heim vorbei, einen kleinen Weg hoch und schon sind wir auf der Wattwiese. Die Wattwiese heißt so, weil sie direkt am Wattenmeer liegt. Es flutet gerade, was uns aber nichts ausmacht. Im Gegenteil: bei Flut kann man allerhand Lebewesen im Meer beobachten. Dort schwimmen eine Menge kleiner Fische, hier rudert eine Qualle auch an Vögeln leben hier sehr viele. Gerade werden wir auf ein paar Seeschwalben aufmerksam, die uns mit lautem Geschrei vertreiben wollen. Wir vermuten, dass sie hier ihre Nester haben, deshalb suchen wir eine Weile nach Eiern. Da wir jedoch keine finden, gehen wir bald weiter. Rechts von uns sind sehr hohe Dünen mit Strandhafer und blühendem Ginster bewachsen. Links von uns das jetzt überflutete Wattenmeer. Austernfischer und Möwen lassen sich vom Wasser schaukeln, Strandläufer an der Wasserlinie suchen eifrig nach Beute, eine Mantelmöwe fliegt über uns hinweg, um sich weit hinten auf dem Wasser niederzulassen. Aus dem schmutziggrauen Wasser des Wattenmeeres sticht dunkelblau der Prielstrom ab. Vor uns auf dem Boden wächst der Queller. Wie lange mag es dauern, bis das ganze Wattenmeer so eine Landfläche sein wird, wie der Boden hier vor uns, der noch jetzt bei Sturmfluten vom Wasser überspült wird? Doch schon kommen uns wieder tröstliche Gedanken, denn das dauert noch Jahrhunderte. Aber wiederum müssen wir denken, wie viele Bauern und Flüchtlinge hier eine Heimat, eine eigene Scholle finden könnten.

Während ein jeder seinen Gedanken nachhängt oder Muscheln sucht, kommt unser Ziel, Hörnum in Sicht. Als wir uns einer Landzunge nähern, fliegen dort mit großem Geschrei viele Möwen auf. So viele Möwen haben wir noch nie auf einmal gesehen. Man könnte fast denken, es ist eine Muschelbank. Hier haben die Möwen einen sehr reichlich gedeckten Tisch.

Wir sind bereits am Anfang von Hörnum, dem weltbekannten Hörnum, aber wie enttäuscht sind wir, als wir durch Hörnum gehen. Alles Häuser, die während des Kriegs von der Wehrmacht erbaut worden sind. Vor dem Krieg standen hier nur ungefähr 7 Häuser. Schon von weitem sahen wir ein hohes Gerüst am Hafen stehen. Als wir heran sind, sehen wir, dass es ein Flugzeugkran ist. Ja, als wir uns umsehen, bemerken wir, dass wir direkt auf dem Flugplatz von Hörnum sind. An den Seiten stehen die Flugzeughallen, die jetzt als Fischhallen und Fischräucherhallen genutzt werden. Im alten Leuchtturm, welcher jetzt bis auf das untere Stockwerk abgebrochen ist, vorbei, um eine kleine Ecke und schon sehen wir den neuen Leuchtturm, welcher fast wie der Tinsdaler Leuchtturm aussieht. Vor einer hübschen strohgedeckten Schule machen wir Halt. Nun wollen wir weiter zur Südspitze Sylts. Als unser Lehrer seine Uhr hervorholt, merken wir, dass wir zum Heim zurück müssen. Also gehen wir zum Bahnhof, um von hier mit einem Güterzug, da jetzt kein Personenzug fährt, zurückzufahren. Es steht auch tatsächlich ein Güterzug da, aber der Lokomotivführer will uns nicht mitnehmen, also müssen wir zu Fuß zurück. Dieses Mal gehen wir aber auf der Meerseite. Welch ein Unterschied: eben noch kleine, kaum sichtbare Wellen und hier schon eine mächtige Brandung. Auch das Bild des Bodens und der Dünen hat sich verändert. Sah man eben noch die schmutziggrünen Dünen und den mit Queller bewachsenen Boden, so sieht man jetzt wild zerklüftete gelbe Dünen und den gelben Strand, auf welchem nur Tang und Muscheln in den verschiedenen Wassergrenzen liegt.

Übers Meer gleitet der Blick am Horizont entlang. Kein Land, nichts zu sehen, soweit das Auge reicht. Vor uns entdecken wir einen großen Behälter ähnlich einer Tonne oder Boje mit der Aufschrift „Trinidad House“. Wie ich erst später erfahren habe, sind darin Lebensmittel für abgeschossene Flieger enthalten. Wieder suchen wir Muscheln und schon sind wir jetzt vor dem Heim, so denken wir, aber wir haben uns sehr getäuscht. Doch nun sind wir schon mittendrin in den Dünen. Schnaufend krabbeln wir bei den Dünen an der einen Seite hoch, um auf der anderen Seite dafür umso schneller hinabzulaufen. Da sind wir auch schon an den Schienen der Sylter Südbahn und dort vor uns taucht auch schon das Heim auf. Wir waren in Hörnum so beschäftigt, dass wir kaum auf die Gelegenheit zum Fischeholen achteten, aber wir wollen hoffen, dass wir bald zum Fischeholen gehen können.

Teil 5: Unsere Zusatznahrung aus dem Meere

Da wir bei unserer Erkundigung, wie wir am besten Schollen bekommen können nicht viel erreicht hatten, sannen wir darüber nach, wann wir wieder zum Auskundschaften oder direkt zum Schollenkaufen gehen können. Die Gelegenheit kam sehr schnell heran. Hörnum forderte das Lager auf eine Mannschaft zu stellen, die gegen Hörnum Handball spielen sollte. Heute Abend ist es nun soweit, heute Abend startet das Spiel. Anschließend wollen wir Schollen kaufen.

Nun da das Handballspiel beendet ist, sind wir auf dem Weg zum Hafen. Wir treffen ein paar Frauen, die sehr schwere Taschen tragen. Als wir neugierig hineinsehen, sind Schollen darin. Also guten Mutes gehen wir zum Hafen an die Fischerboote. Einige ganz schlaue Klassenkameraden springen gleich in die Fischerboote hinein – und siehe da, die ersten bekommen schon ihre Beutel voll Schollen. Da wurden auch wir mutig, sprangen auf die Fischerboote, um unsere Beutel auch füllen zu lassen. Aber, oh weh, die Schollen sind alle ausverkauft. Gegenüber legt jetzt ein neues Fischerboot an. Wir liefen schnell dorthin und wir bekommen auch tatsächlich unseren Beutel voll Schollen.

Am Ausgang warteten wir auf die anderen Kameraden, die noch keine Schollen haben. Endlich sind wir alle versammelt. Jetzt gehen wir am Wattenmeer zurück zum Heim. Auf dem Weg dahin gab es noch sehr viel Streit, denn einige Klassenkameraden wollten nicht tragen. Mit großem Hunger kommen wir beim Heim an, aber, oh weh, die Mädchen eines Hamburger Oberbaus haben unsere Suppe aufgegessen, so dass wir nur Brot bekommen.

Wir leihen uns aus der Küche zwei große Schüsseln. Dort hinein legen wir die Schollen, um sie auszunehmen. Oft stachen wir uns mit der harten Gräte an der Seite in die Hand. Endlich waren wir mit dem Ausnehmen fertig. Nun müssen die Schollen abgewaschen und gesalzen werden. Als wir auch damit fertig sind, sehen wir schön aus: mit Blut und Schmutz bespritzt stehen wir in dem ebenso aussehenden Waschraum. Als wir uns gründlich gereinigt haben gehen wir todmüde ins Bett.

Am Abend des nächsten Tages sitzen wir alle mit einer Scholle in der Hand in den Dünen und denken an die Ereignisse des Tages zurück. Morgens in aller Frühe ging unser Lehrer durch die Stuben, um uns zu wecken. Nachdem wir gefrühstückt hatten ging die Arbeit sofort wieder los. Zuerst die Schollen auf Spitten und Bänder ziehen, dann die Schollen in die Sonne zum Trocknen hängen. Aber die Arbeit ist ja noch gar nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist das Holz sammeln. Wir gehen durch die Dünen, graben Pfähle aus und sammeln am Strand, wo wir jedoch nicht viel fanden. Zuletzt fanden wir einige alte Wehrmachtsbunker hoch auf den Dünen, welche allerdings schon gesprengt sind. Hier ist Holz genug. So viel Holz, dass wir es gar nicht alles mitbekommen können. Nach dem Mittagessen, als alle ihren Mittagsschlaf hielten, durften wir den Rest des Holzes holen. Am Nachmittag fing das Räuchern an. Vorher teilte unser Lehrer die Räucherwachen ein. Die schollen wurden in eine Kiste gehängt, die Kiste wurde mit nassen Säcken abgedeckt und darunter wurde mit nassem Holz ein Feuer gemacht, auf welches dann auch noch Wasser gegossen wurde, damit sich der Rauch ordentlich entwickeln kann. Ja, so war es heute und nun sitzen wir hier und Essen unsere Schollen.

Wenn man Hunger hat, kommt man auf viele Gedanken. Wir hatten schon oft gehört, dass Miesmuscheln sehr gut schmecken und da wir Hunger haben, gehen wir also zum Muschelsuchen. Es ist grade tiefste Ebbe, welche uns sehr etwas zupass kam. An der Wassergrenze des Watts sehen wir schon von Weitem kleine Haufen liegen. Als wir heran sind, sehen wir: das ist die Muschelbank, die hier liegen soll. Einer sammelt immer die Muscheln heraus, der andere macht sie im Wasser sauber, dann packen wir sie in die Gefäße, die wir mitgebracht haben. Vom Heimleiter leihen wir uns Salz und einen großen Topf. Bei uns hinter dem Heim steht ein alter Küchenherd. Dort zünden wir ein Feuer an, setzen den Topf mit Salzwasser gefüllt auf, und werfen die Muscheln hinein. Nach kurzer Zeit platzen die Muscheln auf – ein Zeichen, dass sie gut sind und dass wir anfangen können zu futtern.

Sechster Teil: Unser Ausflug zum Roten Kliff

Unser Aufenthalt auf Sylt geht nun schon seinem Ende zu und wir haben noch gar keinen Ausflug zum Roten Kliff gemacht. Heute wollen wir nun das Versäumte nachholen. Wir sind alle von der Idee begeistert. Es ist erst 07:00 Uhr, als wir auf dem Bahnsteig stehen. Hinter den Dünen geht gerade die Sonne auf, schon leuchten die Dünen im Sonnenglanz. Alles klappte heute Morgen wie am Schnürchen, aber wir sind etwas verärgert, denn wir haben als Wegzehrung nur vier Scheiben Brot und eine Kumme Schollen mitbekommen. Dass wir damit nicht auskommen, lässt sich ja denken.

Jetzt warten wir schon eine Weile auf das Zügele, welches wie gewöhnlich wieder einmal Verspätung hat. Einige ganz schlaue Jungen legen das Ohr auf die Schienen, um den Zug herbeizuhorchen, aber auch das nützt nichts. Da – ein Schnaufen hört man in der Ferne und der Zug biegt um die letzte Düne, welche uns die Sicht versperrte. Kaum sind wir eingestiegen, als er auch schon losschleicht. Durch die sonnenüberfluteten Dünen geht die Fahrt. Wir sehen neben uns grüne, oft sumpfige mit Wollgras bewachsene Täler, in denen sich Möwen und anderes Wassergeflügel aufhalten. In Rantum steigen Schulkinder in den Zug. Wie gut wir es haben, dass wir einmal für 14 Tage ausspannen können! An den Heimen der Städte Hamburg, Altona und Köln vorbei geht die Fahrt auf Westerland zu. Schon jetzt erkennen wir die hohe, plumpe Kirche, den Gasometer und einige andere Gebäude. -endlich haben wir das Ziel unserer Bahnfahrt erreicht: Westerland. Fast großstädtisch mutet das Bild uns an. Doch wie anders als in Hamburg: breite schöne Straßen, keine so hohen Geschäftshäuser, alles sauber und freundlich und vor allem: keine ausgebombten Häuser. (…) Vorerst müssen wir eine lange Wanderung antreten. Wir halten nach schönen bunten Steinen Ausschau. Endlich legt unser Lehrer eine Ruhepause ein. Da wir unser Brot aufhaben, suchen wir Dinge aus grauer Vorzeit. Jeder dunkle Stein wird als ein Stück von einer Urne angesehen, jeder spitze Stein als eine Speerspitze. Wir finden aber tatsächlich einige dieser Sachen. (…)

(Anmerkung Sabine Weiß: hier fehlen ein paar Seiten. Offenbar hatten sich die Jungen den Magen verdorben) (…) Kohlepulver vorrätig sei. Schon fällt uns unsere Krankheit von heute morgen wieder ein, die wir bekommen hatten durch die vielen Schollen, die wir aßen. Schon kurze Zeit später, als unser Brot alle ist, beginnen wir unser Kohlepulver zu essen. Kurz vor Wenningstedt sehen wir ein paar Bäume, die einzigen der Insel Sylt, „Park“ genannt. In Wenningstedt in dem Heim der Hamburger Bismarck-Oberschule ist eine prachtvolle Ausstellung biologischer und geologischer Sachen, die hier gefunden wurden. Aber trotzdem wollen wir bald weiter. Deshalb sitzen wir auch schon kurze Zeit später auf einer Bank und lassen uns von der prallen Mittagssonne bescheinen. Unser Ziel ist nun das Rote Kliff, denn wir wollen Muscheln und Steine suchen und baden.

Wir haben einen ganz furchtbaren Durst, dass wir erst einmal einkehren wollen. Auf unserem Weg liegt ein sehr vornehmes Café. Wir werden sehr freundlich von einem Kellner bedient. Den Ausgleich schafft allerdings eine dicke Frau hinter der Theke, scheinbar die Besitzerin.

Endlich ist das Rote Kliff erreicht, aber hier wollen wir nicht hinunter, da wir sonst eine Reichsmark bezahlen müssen, also bleiben wir oben auf dem Kliff und sehen auf das 15 – 20 Meter unter uns liegende Meer hinab. Eine herrliche Brandung rollt an den Strand, sodass wir die Zeit bis zum Baden gar nicht abwarten können.

Man muss sich vorstellen, dass das Rote Kliff hier fast steil abfällt. Endlich können wir Baden, aber, oh weh, die meisten haben ihre Badehose vergessen. Das macht aber nichts, denn wir sind ja unter uns. Wenn wir in Puan Klent im Priel badeten, fanden wir es schon herrlich. Das war aber noch gar nichts gegen dieses Bad in der Brandung. Von den Wellen wurde man hochgetragen, fast an den Strand geworfen, um dann wieder mit ins Meer zurück genommen zu werden. Schön abgekühlt steigen wir aus dem Wasser.

Wir setzen nun unsere Wanderung fort, da wir noch nach Keitum ins Museum wollen. Doch als wir eben vor Kampen ein paar Leute nach dem Weg und der Zeit fragen, erklären sie uns, dass wir dann den Zug nach Puan Klent verpassen. Wieder gehen wir in ein Café und trinken eine Brause, dann gehen wir nach Kampen zum Bahnhof. Noch einmal denken wir an die Uwe-Düne zurück. Die Uwe Düne ist meiner Ansicht nach die höchste und schönste Düne der Insel. Noch einmal erinnern wir uns an List, welches wir vom Roten Kliff aus erkennen konnten. Dann ist Westerland erreicht. Es ist gegen 03:00 Uhr und um 05:00 Uhr fährt erst unser Zug nach Puan Klent, bis dahin haben wir Freizeit. Einige Klassenkameraden gehen ins Kino, andere zum Haarschneider und da meine Tante hier wohnt, gehe ich natürlich zu ihr. Pünktlich um 05:00 Uhr treffen wir uns auf dem Bahnhof wieder, um nach Puan Klent zurückzufahren. Hungrig verschlingen wir nach unserer Ankunft im Heim unser Essen, welches uns aufbewahrt worden ist. Ein herrlicher Ausflug ist damit beendet. Dieser Ausflug wird uns immer als unvergessliches Erlebnis unseres Sylt Aufenthalts im Gedächtnis bleiben.

Teil 7: Stunde der gemeinsamen Unterhaltung

(…) Am dritten Tage unseres Hierseins hielt Herr Schubert einen Vortrag über Puan Klent und seine Entstehung. Daraus erfuhren wir, dass Puan Klent nach dem Weltkrieg von der Hamburger Schulverwaltung gekauft wurde. Es war vorher ein Militärlager. Auch woher der Name Puan Klent stammt, erfuhren wir hierbei. Der Name ist dänisch oder friesisch und er bedeutet so viel wie „Pauls Schlucht“. Puan (Paul) war ein großer Seeräuber, der hier in dieser Schlucht lebte. Eines Tages, kurz nachdem das Heim fertiggestellt und eingerichtet worden war, suchte ein moderner Puan es auf und er nahm alles mit, was nicht niet- und nagelfest war. Dann las Herr Schubert uns eine kleine Geschichte von Paul Georg Münch „Der Ferienaufsatz“ vor. Herr Schubert berichtete schließlich über die Entstehung des Hindenburgdamms, an welcher die damals dort anwesenden Jungen als Indianer mitwirkten. Auch, wie sie einmal die „Rasende Emma“ überfielen und mit Stricken an den Schwellen festbanden, erzählte Herr Schubert. Damals brauchte das Heim Geld und gegen ein hohes Lösegeld durfte der Zug weiterfahren. Diese Geschichte fand bei uns so viel Anklang, dass wir Lust hätten, sie nachzumachen. Überhaupt hinterließ dieser Abend bei uns so viel Eindruck, dass wir noch lange darüber sprachen.

Auch Handball haben wir gegen einen Verein gespielt und das kam so: der Hörnumer Verein brauchte eine Mannschaft, gegen die er spielen kann, denn sonst hat der Hörnumer Verein keine Möglichkeiten zum Trainieren. Da ist es nun die beste Gelegenheit, gegen das Puan Klenter Lager zu spielen. Auch wir wollten gerne einmal ein Handballspiel liefern, also waren wir sofort einverstanden und lobten die großartige Idee. Schon Tage vorher wurden die Mannschaften aufgestellt. Dann wurde gegen den Rest des Lagers trainiert, bis das Spiel so einigermaßen klappte.

Am Abend vor dem Spiel nahmen wir unser Abendbrot natürlich schon eher ein, damit wir den Zug ja nicht verpassten. Als der Zug einläuft, wird er fasst gestürmt. Wir stiegen in Hörnum-Nord aus, um zum Sportplatz zu gehen, da kommt der Spielwart des Hörnumer Vereins und er meint, wir sollen ruhig bis zum Hafen mitfahren und uns den ansehen, bevor wir zum Spiel gehen. Am Hafen kundschaften wir aus, wie wir am besten Schollen bekommen können, doch wir sind auf das Spiel gespannt. Endlich stehen wir vor unseren Sportgegnern, aber, oh weh, alles sind 20 – 30-jährige während unsere Spieler 15 – 17-jährige sind. Ein großartiges Spiel wird gespielt. Unsere schlagen sich sehr tapfer. Der Ball fliegt von einem zum anderen Jungen. Ein blitzartiges Spiel wird gespielt. Wir versuchen den feindlichen Torwart aus der Fassung zu bringen, aber es gelingt uns nicht. Da fällt das erste Tor für Hörnum, das zweite und dritte folgen. Danach sind vier Tore für uns zu verzeichnen, aber wir freuten uns zu früh denn schon fallen 3 Tore für Hörnum dann wieder 1 für uns darauf folgten wieder vier Tore für Hörnum und dabei blieb es. Das Endergebnis lautete 10 zu 5 für Hörnum. Anschließend folgte ein Spiel zwischen unseren Mädchen und denen des Vereins, wobei unsere Mädchen, wie sie uns nachher mitteilten, nicht so miserabel gespielt hätten, sondern, wie es sich für sie gehört, gewonnen hätten. Nach diesem Spiel wurden die Trainingsspiele fortgesetzt, denn das Rückspiel sollte ja in den nächsten Tagen erfolgen und das müssen wir gewinnen.

Es ist einige Tage später heute soll das Rückspiel erfolgen. Die Hörnumer Mannschaft kommt gerade an, als wir beim Abendbrot sind. Sie haben sogar ihren eigenen Schiedsrichter mitgebracht, der uns schon jetzt nicht gefällt. Nach dem Abendbrot begeben wir uns auf die Wattwiese, denn hier soll das Spiel gespielt werden. Eine begreifliche Unruhe ist unter den Zuschauern. Das Spiel hatte kaum begonnen und schon stolziert der Schiedsrichter wie ein Zirkuspferd auf dem Platze umher. Da – ein Ball geht über die Latte hinweg. Um den Schiedsrichter zu ärgern, schreien wir „Tor“. Tatsächlich pfeift er. Das Endergebnis bei diesem Spiel lautet 4 zu 3 aber der Schiedsrichter, welcher nach einer Privat-Regel spielte, stellte 5 zu 3 für Puan Klent fest. Auch einen gemeinsamen Singabend veranstalteten die Klassen nicht nur zum Pfingstfest, sondern zu allen anderen Gelegenheiten schwangen wir lustig unser Tanzbein.

Eines Tages begannen große Vorbereitungen für ein Tischtennis-Spiel gegen Hörnum. Große Ausscheidungskämpfe wurden ausgetragen, bis unsere Mannschaft stand. Am Abend kam Hörnum an. Im großen Gemeinschaftssaal wurde hart um den Sieg gekämpft. Unsere Mannschaft schlug sich tapfer, aber trotz aller Anstrengungen gelang es ihr nicht, zu siegen. Hörnum gewann nach einem sehr guten Kampf kurz und verdient 8 zu 4. Es sollte noch ein Rückspiel erfolgen, aber das fiel wegen uns nicht bekannten Gründen aus.

Der Ferienaufenthalt geht nun seinem Ende zu. Heute war unser Abschiedsfest. Es wurde getanzt und kleine Aufführungen dargeboten. Es ging lustig zu, doch fehlte die Stimmung, denn bei dieser Feier, beim Tanz und den Vorführungen ist immer der bittere Beigeschmack des Abschieds.

Nun soll unser Aufenthalt auf Puan Klent zu Ende gehen. Wir sind gerade beim Kofferpacken und dabei kommen uns sehr viele Gedanken. Wie war doch unser Aufenthalt voller Sonnenschein und voller Freuden. Jeden Tag das schöne Baden im Meer, oh, wie wird uns das fehlen, und die Dünen, die Wattwiese, das Heim und die schönen Stunden – all dies wird jetzt wieder in uns wach. Wir möchten, dass sich unsere Abreise noch verzögert, am liebsten noch um 14 Tage, dann würden wir bestimmt nicht mehr so über das Essen meckern. Doch dann werden wir wieder von den Gedanken beseelt, dass wir uns schon in etwa 8 – 10 Stunden im Kreise der Angehörigen befinden. Fix und fertig sind die Koffer gepackt. In 2 Stunden sollen wir fahren. Noch einmal besuchen wir die Wattwiese, sehen traurig über das Wattenmeer, um dann zur Meerseite zu gehen. Noch einmal hören wir das uralte Lied der Nordsee. Dann gehen wir zum Heim zurück. Schon ist es Zeit zum Mittagessen zu gehen, welches es heute eher gibt. Nach dem Mittagessen steht auch schon Draisine, welche uns nach Westerland bringen soll, vor der Tür. Schnell werden die Koffer verstaut, dann fotografiert unser Lehrer uns noch einmal. Schon müssen wir einsteigen und dann fahren wir nach Hause. (…)

Dann müssen wir zum Zug. Für uns ist extra ein leerer Gepäckwagen angehängt worden. Während der Fahrt denken wir daran, wie wir loszogen, um Fische zu holen. Mit einer anderen Klasse gingen wir am Strand entlang. Es war die höchste Flut, die wir erlebten. Fast die ganze Wattwiese war überschwemmt. Wir bekamen wieder große Mengen – jeder 32 Schollen. Dann warten wir auf das Zügele. Mit dem Zügele fuhren wird zurück zum Heim. Dort nahmen wir die Fische aus. Diesmal wuschen wir sie nicht, sondern salzten sie nur ein. Der Zug braust über den Hindenburgdamm. Er braust so schnell, dass wir uns hinsetzen müssen, da wir uns sonst nicht halten können. Das unendliche Wattenmeer liegt noch einmal vor uns, um dann im blauen Dunst zu verschwinden. An den blühenden Bäumen und Gärten vorbei geht die Fahrt auf Niebüll zu. Schnell stürmen wir auf den Autobus zu, lassen unser Gepäck verstauen, um dann einzusteigen, aber da stellt sich ein Hindernis in den Weg: der Fahrer will unsere Schollen nicht mitnehmen. Nach einem scharfen Wortgefecht zwischen unserem Lehrer und dem Fahrer erklärt sich dieser bereit, die Schollen hinten im Autobus zu verstauen. Der Fahrer garantiert uns, dass wir bis um 10:00 Uhr in Hamburg sind jetzt ist es 03:00 Uhr also in sieben Stunden sind wir am Loignyplatz. Dann geht die Fahrt los. Vor 14 Tagen hatten die Kirschen gerade ausgeblüht und heute beginnen sie sich schon zu röten. Über Flensburg am großen Funkturm vorbei, Schleswig, Rendsburg mit der Hochbrücke und Neumünster geht die Fahrt. Sobald man in Hamburg einfährt, merkt man es an den vielen Schutzleuten, die hier patrouillieren. Auch am Schmutz und an den Trümmern. Durch die Trümmer geht die Fahrt zum Loignyplatz. Bald kommt auch die Linie 16 und dann sind wir schließlich zu Hause. Es gibt sehr viel zu erzählen und unsere Eltern wissen bald: es waren für uns unvergessliche 14 Tage.

(Am Schluss zitiert er noch Theodor Storms Gedicht „Abseits“)

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