27. Juli 1241 – Schicksalhafte Schlacht

Meine Reisen in die Vergangenheit – Ein Podcast von Sabine Weiß

Mein Name ist Sabine Weiß. Ich bin Schriftstellerin und lade Sie ein, mit mir in die Vergangenheit zu reisen. Heute nehme ich Sie mit zur Schlacht bei Bouvines, bei der am 27. Juli 1214 durch den Sieg der Franzosen die Machtverhältnisse in Europa grundlegend verändert wurden. Bouvines, oder niederländisch Bovingen, gehörte damals zur Grafschaft Flandern und liegt heute im nördlichsten Frankreich, südöstlich der Stadt Lille.

Der Historiker Matthias Springer urteilt in „Otto IV.“ folgendermaßen: „An jenem Sonntag wurde sowohl über die Zukunft des französischen Königtums und über den deutschen Thronstreit als auch über die Herrschermacht des Königs von England entschieden.“ Nach Bouvines wurde Frankreich die wichtigste europäische Macht und das römisch-deutsche Reich zweitrangig.

Ich habe mich für meinen Roman „Die Perlenfischerin“ mit der Schlacht befasst und ihr ein Kapitel gewidmet, und möchte diese Folge mit einem Zitat daraus einleiten:

Der vergoldete Reichsadler auf dem Fahnenwagen breitete die Schwingen so weit aus, als wollte er nicht nur die englische Drachenfahne, sondern gleich das ganze Heer beschützen. Vor lauter Menschen waren die fruchtbaren Felder der Grafschaft Flandern nicht mehr zu erkennen. Aber jeder, der auf diesem Acker in der Nähe des Ortes Bouvines auf den Beginn des Kampfes wartete, wusste, dass ihm niemand zu Hilfe kommen würde. Viele glaubten, dass nicht einmal Gott ihnen beistehen würde, denn sie waren im Begriff, den heiligen Sonntag zu schänden. (…)

In seiner goldglänzenden Rüstung ritt Kaiser Otto mit seinen Paladinen neben den Fahnenwagen. Am Arm trug er ein Seidenband seiner frisch angetrauten Ehefrau Maria von Brabant, das von den Kämpfen schon ganz ausgefranst war. Viele sagten ihm nach, dumm zu sein, eitel oder geizig, das wusste Esko. Aber eines konnte man dem Kaiser wirklich nicht vorwerfen: Feigheit. In jeden Kampf hatte er sich bislang mutig gestürzt, und er hatte auch den Sold seiner Leute immer bezahlt.

Soweit der Roman. Kommen wir zu einer nüchterneren Betrachtung der Fakten. Was ging dieser Schlacht voraus?

In Bouvines eskalierten verschiedene Konflikte, die bereits jahre-, ja jahrzehntelang geschwelt hatten. Da war zum einen der Streit zwischen Frankreich und England über die englischen Besitzungen auf dem europäischen Festland. Denn der englische König Johann hatte in Frankreich große Besitzungen geerbt, wie die Normandie und das Anjou, die ihm jedoch bereits von dem französischen König abgenommen worden waren, weshalb er den Beinamen „Ohneland“ trug.

Andererseits flammte der Streit zwischen Staufern und Welfen wieder auf, denn der stauferische König Friedrich von Sizilien hatte Anspruch auf die deutsche Thronwürde erhoben. Der französische König Philipp II. hatte sich mit König Friedrich zusammengeschlossen, während der englische König Johann Ohneland mit seinem Neffen Kaiser Otto IV. verbündet war. Dieser Otto war eine umstrittene Figur. Er hatte als Gegenkönig geherrscht und um den Thron gekämpft, zudem war er schon lange vom Papst exkommuniziert. Ein Chronist bezeichnete ihn als „hoffärtig und dumm, aber mutig“.

In diesem Jahr also wollten König Johann und Kaiser Otto die Lage ein für allemal für sich entscheiden und die in Frankreich herrschenden Kapetinger in die Knie zwingen. Eigentlich hatten sie die französischen Truppen in die Zange nehmen wollen, aber dieser Plan war gescheitert. So kam es, dass am Sonntag, den 27. Juli 1214, von Norden der römisch-deutsche Kaiser Otto IV. mit einer imposanten Streitmacht an Bouvines heranrückte.

Der Chronist Wilhelm der Bretone, der als Hofkaplan des französischen Königs die Schlacht erlebte, schrieb: „Er hatte als Feldzeichen einen vergoldeten Adler auf einem Drachen aufrichten lassen, der auf einer hohen Stange angebracht war.“

Um sich jenseits einer Sumpfniederung in Sicherheit zu bringen, zogen derweil die Truppen des französischen Königs Philipp II. über die Brücke von Bouvines. Doch schließlich stießen, mehr zufällig, die Heere aufeinander. Kaiser Otto gab den Befehl zur Schlacht, obgleich ein geheiliger Sonntag war, an dem die „Waffenruhe Gottes“ gelten sollte.

Rund 1500 Ritter und einige Tausend Fußsoldaten standen vermutlich jedem der Herrscher zur Verfügung. Anderen Schätzungen zufolge gingen 4000 Berittene und 12.000 Fußkämpfer aufeinander los. Die Schlacht soll fünf Stunden gedauert haben. Dabei gerieten beide Herrscher mehrmals in gefährliche Situationen. Philipp II. wurde von deutschen Kriegsknechten umzingelten und vom Pferd geholt. Er wehrte sie ab, sprang wieder in den Sattel und preschte mit seinen Rittern auf Otto los. Ein Franzose wollte den Kaiser erdolchen, traf aber nur dessen Pferd ins Auge.

Schließlich geriet Kaiser Otto derart in Bedrängnis, dass er floh. Viele seiner Vasallen wurden jedoch getötet oder gerieten in Gefangenschaft. Verachtung und Spott waren dem Kaiser sicher. Aus Sicht der Beteiligten war damit ein Gottesurteil gesprochen worden, denn nie hätte Kaiser Otto die Schlacht an einem Sonntag beginnen dürfen, wie Georges Duby in seinem lesenswerten Sachbuch „Der Sonntag von Bouvines“ über die Geschichte der Schlacht herausarbeitet.

In der Folge wird die Schlacht in vielen Quellen erwähnt. Der französische König nutzte die Schlacht eingehend propagandistisch zu seinem Vorteil. Als besonders triumphal wurde der Sieg gefeiert, weil der französische König so viele hochrangige Gefangene vom Schlachtfeld führen und ein enormes Lösegeld erpressen konnte. Auch die Trophäen werden immer wieder erwähnt. So gelang es den Franzosen, den Streitwagen Ottos IV., zu erbeuten. Wilhelm der Bretone berichtet: „Der Wagen wurde in Stücke gebrochen, der Drache zerbrochen, der Adler, nachdem seine Flügel herausgerissen und zerbrochen worden waren, zum König gebracht.“ Also zu dem Staufer König Friedrich, der bald als Kaiser Friedrich II. die Macht ergreifen sollte.

Wie es mit meinen Roman-Charakteren nach der Schlacht weitergeht, werde ich natürlich nicht verraten. Aber auf die Folgen des französischen Sieges gehe ich gerne noch ein: Die französischen Könige hatten mit dem Landgewinn ihr Eigengut fast verdoppelt und hielten es fortan. König Johann Ohneland war weiter zurechtgestutzt worden und musste in England seine Willkürherrschaft einschränken und 1215 die berühmte Freiheitsurkunde, die „Magna Charta“ erlassen. Im Reich stellte die Niederlage Ottos IV. die Weichen für den Sieg der Staufer und die Herrschaft Kaiser Friedrichs II., der ein ebenso gewaltiges wie modernes Reich schuf.

Um die Schlacht bei Bouvines bildete sich schnell ein nationaler Mythos samt diverser Heldendichtungen. Als das Verhältnis zu den Deutschen besser wurde, verblasste im Laufe der Jahrhunderte die Erinnerung an die Schlacht. Während der Juli-Monarchie und im Deutsch-Französischen Krieg im neunzehnten Jahrhundert feierte man Bouvines erneut als „ersten nationalen Sieg“. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Versöhnung mit Deutschland verschwand die Schlacht wieder aus den Schulbüchern. Heute erinnert nur noch ein schlichter Obelisk daran, dass bei Bouvines eine der entscheidendsten Schlachten des Mittelalters stattgefunden hat.

Abb: Darstellung des Reiterkampfes zwischen König Philipp II. Augustus und Kaiser Otto IV. in Bouvines. Spätmittelalterliche Miniatur aus den Grandes Chroniques de France (Paris Bibliothèque nationale de France, Ms. fr. 2813, fol. 253v).

Montag, 27. Juli 2020

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