Perlen aus Deutschland – die gibt es doch gar nicht, mag mancher gedacht haben, als der Einbruchdiebstahl am 25. November 2019 im Grünen Gewölbe in Dresden Schlagzeilen machte. Inzwischen wissen wir, dass die Diebe die Kette der Königin Amalie aus 177 sächsischen Flussperlen nicht gestohlen, möglicherweise aber stark beschädigt haben. Was hat es also mit den deutschen Perlen auf sich? Für meinen historischen Roman „Die Perlenfischerin“ bin ich diesem Thema nachgegangen und möchte hier einen kleinen Überblick geben.
Die Flussperlmuschel (lateinisch Margaritifera margaritifera) gehört zur Familie der Margaritiferidae, die grundsätzlich überall zwischen dem vierzigsten und siebzigsten nördlichen Breitengrad lebte. Das Vorkommen der europäischen Flussperlmuschel konzentriert sich auf Bäche, Flüsse, Ströme und Seen in gemäßigt kühlen bis kalten Gebieten. Die Perlen der Königinnen-Kette aus Dresden wurden im achtzehnten Jahrhundert aus vogtländischen Gewässern entnommen. Vor allem die Weiße Elster war bekannt für ihre Perlenvorkommen. Im Jahr 1649 fand man beispielsweise in der Weißen Elster 226 Perlen, darunter 51 äußerst wertvolle. Ergiebig waren aber auch der Görnitzbach und der Triebelbach.
„Die Flussperlmuscheln, die noch bis vor hundert Jahren reichlich vorhanden war, ist heute fast verschwunden. Die Restbestände sind überaltert und das Fehlen von Jungmuscheln verringert ihre Überlebenschancen“, konstatiert die Hamburger Perlenexpertin Elisabeth Strack in ihrem Buch „Perlen“. „In Deutschland hat es bis vor wenigen Jahrzehnten Vorkommen von Margaritifera in Rheinland-Pfalz (Eifel, Hunsrück), NRW (Bergisches Land, Westerwald) und Hessen (Odenwald, Spessart, Vogelsberg, Rhön). In den dreißiger Jahren haben Juweliere an der Mosel noch Perlen aus der Ruwer verarbeitet, bis 1970 soll es noch Muscheln gegeben haben. Heute haben nur noch drei Mittelgebirgsvorkommen eine Bedeutung, zwei liegen in Bayern, eines in Sachsen. Das vierte Vorkommen ist das einzig nennenswerte Tieflandvorkommen in Europa, es liegt in der Lüneburger Heide.“
Heute steht die Flussperlmuschel auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten. Wenn auch bei Perlwilderei nicht mehr, wie im Mittelalter und in der Renaissance, der Perlgalgen oder der Verlust der Hand droht, so wird diese doch auch heute wieder streng (mit Strafgeldern bis zu 50.000 Euro oder Freiheitsentzug) bestraft. An die große Zeit der Perlfischerei im Vogtland erinnert das Perlmutter- und Heimatmuseum in Adorf.
Für den Rückgang der Flussperlmuschel gibt es viele Gründe, denn sie ist ein anspruchsvolles Lebewesen, das nur in einem intakten Lebensraum gedeiht und sehr empfindlich auf Umwelteinflüsse reagiert. Zum Aussterben der Flussperlmuschel tragen bei: Verschmutzung der Gewässer, Versandung der Bäche, Verdrängung oder Aussterben der Wirtsfische, Vernichtung ganzer Bestände durch Perlräuber, neue Fressfeinde, Klimawandel.
Wie wichtig die Schutzbemühungen sind, zeigt sich am Beispiel der niedersächsischen Lutter. Das Naturschutzgroßprojekt Lutter und der Unterhaltungsverband Lachte setzen sich seit Jahrzehnten intensiv für die Flussperlmuschel ein – und wirklich verzeichnet der Bestand als einziger in ganz Europa eine positive Entwicklung. Entscheidend dabei ist es, die Flüsse zu renaturieren, von schädlichen Umwelteinflüssen freizuhalten, indem beispielsweise angrenzende Gebiete aufgekauft werden, die richtige Beschaffenheit des Flusses wiederherzustellen (Sandfracht, Kiesel etc.) und für eine Besiedelung mit Bachforellen zu sorgen, die als Wirt wichtig sind. So wurden beispielsweise in der Lutter gefangene Bachforellen mit Flussperlmuschel-Larven infiziert und in den Fluss zurückgesetzt. Nur wenige Flussperlmuschel enthalten übrigens eine Perle (die Schätzungen reichen von eine Perle auf 2000 bzw. 25 Muscheln). Wenn man jedoch die wunderbaren Perlstickereien in den Heideklöstern sieht, die über und über mit Flussperlmuscheln bedeckt sind, oder die herrlichen Perlenketten aus Elsterperlen, die im Grünen Gewölbe in Dresden verwahrt werden, weiß man, wie viele Naturschönheiten wir verloren haben …
Die Diebe, die im Grünen Gewölbe in Dresden einbrachen, gingen rücksichtslos und brutal vor. Um ihre Spuren zu verwischen, versprühten sie ein weißes Pulver, vermutlich Löschschaum. Einmalige Kunstschätze wurden möglicherweise unwiederbringlich beschädigt – ob es auch die Flussperlen-Kette getroffen hat, muss sich noch zeigen …
Mittwoch, 27. November 2019