Genuss und Überfluss – Kochkunst im „Goldenen Zeitalter“

Heute nehme ich die Figur der Köchin Betje aus meinem Roman „Krone der Welt“ zum Anlass, Ihnen etwas über die Essgewohnheiten des sogenannten „Goldenen Zeitalters“ zu erzählen. Achtung: dieser Blog-Beitrag könnte akutes Magenknurren und Hungergefühle auslösen.

Wer kennt sie nicht, die grandiosen Mahlzeitenstillleben der niederländischen Malerei, die einem das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen? Käselaiber, an denen man sich sofort ein Stück abschneiden möchte. Brot, dessen Kruste so kross aussieht, dass man sofort Appetit bekommt. Gemüse, wie frisch vom Feld. Würzig wirkende Heringe und Schinken. Geschälte Zitronen, deren Schale sich vom Tisch hinab kräuselt.

In der Malerei lassen sich unter den Banketjes, wie diese Gattung auch genannt wird, verschiedene geografische, stilistische und inhaltliche Schwerpunkte abgrenzen. Besonders reizvoll sind Stillleben mit Käse von Floris van Dyck, Stillleben mit Käse, Artischocken und Kirschen von Clara Peeters oder Stillleben mit Hering, Römer und Steinkrug von Pieter Claesz oder Stillleben mit Hummer von Willem Kalf.

Von Clara Peeters – Uploaded from the Wikipedia Loves Art photo pool on Flickr, Photographed Februar 2009, Wikipedia Loves Art participant „artifacts“, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8895134

Was für ein Kontrast zu den Küchenszenen auf Gemälden von Pieter Bruegel d.Ä. über Jan Stehen und Joachim Beuckelaer – hier regieren Lebensfreude und Völlerei! Kein Wunder, dass Dichter wie Jacob Cats oder Roemer Visscher für ihre Sinnsprüche Lebensmittel auch als Metaphern verwendeten.

Sind diese Gemälde reine Schautafeln oder beschreiben sie, was damals wirklich gegessen wurde? Das habe ich mich gefragt, als ich für meinen Roman „Krone der Welt“ recherchiert habe.

Bei ihren europäischen Nachbarn sind die Niederländer zunächst für die Einfachheit ihrer Mahlzeiten bekannt. Beinahe schon legendär ist die Anekdote aus der Zeit um 1610, nach der der Botschafter Spaniens auf einer öffentlichen Bank in Den Haag eine Gruppe von Deputierten der Generalstaaten trifft. Während sie auf die Sitzung warten, essen sie Brot und Käse. „Ein solches Volk ist unbesiegbar!“, urteilt der Botschafter.

Vor allem Butter und Käse sind wichtige Bestandteile der damaligen Mahlzeiten. „Das belegde broodje kann sich also eines höheren Alters als das Sandwich rühmen“, betont der englische Wissenschaftler Simon Schama in „Überfluss und schöner Schein – Zur Kultur der Niederlande im Goldenen Zeitalter“. Die holländische Butter war schon damals wegen ihrer Qualität berühmt. Es gab sehr viele Käsesorten, beispielsweise mit Kümmel oder Kräutern angereichert, oder alten Gouda, jungen Edamer sowie grünen Texel. Zu dieser Entwicklung trugen auch die neuen Polder wie der Beemster bei, die zunehmend fettes Weideland boten. Diese Vielfalt und Beliebtheit des Käses in den Niederlanden wurde sprichwörtlich. Den Engländern und Franzosen galten die Niederländer als „Nation der Käsehändler“ oder „Buttermäuler“. „Jan Kees“ war der Inbegriff des rechtschaffenen guten Kerls – oder später für prahlerische Beschränktheit – so Simon Schama.

Rüben, Möhren und Zwiebeln machten die Hauptmahlzeiten der Ärmsten aus. Oft genug war das Volk, wie 1630, durch Hungersnöte geplagt. Die Regenten der großen Handelsstädte wussten um die Gefahren, die von Hungersnöten ausgingen, und sorgten für umfangreichen Getreideimport aus dem Baltikum sowie feste Brotpreise. Kein Wunder, dass den Amsterdamer Kaufleuten der Import von Korn als „Mutter allen Handels“ galt.

Im Alltag waren die Mahlzeiten oft einfach, deftig und nahrhaft. Ein Nationalgericht, das sich noch heute großer Beliebtheit erfreut, ist der Hutspot. Im sechzehnten Jahrhundert wurde dieser Eintopf einmal wöchentlich gekocht und an den restlichen Tagen aufgewärmt. Frisches Gemüse war die Grundlage des Hutspot, der nach Vorrat oder Geldbeutel ergänzt wurde.

Fleisch kam eher selten auf den Tisch. Frisch gab es Fleisch für die einfachen Leute oft nur um die Schlachtfeste im November, sonst gepökelt oder geräuchert. Die Wohlhabenderen leisteten sich Braten, Beefsteak, Frikadellen und Wurst vom Rind, Schwein oder Geflügel. Damals wurde das ganze Tier verarbeitet – Nachhaltigkeit, wie man sie heute erst wieder entdeckt und mit Etiketten wie Nose to Tail bezeichnet.

Von Schule von Rembrandt – The Yorck Project (2002) 10.000 Meisterwerke der Malerei (DVD-ROM), distributed by DIRECTMEDIA Publishing GmbH. ISBN: 3936122202., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=157823

Stattdessen galten die Niederländer als Gemüseesser. In Amsterdam lockten an vielen Ecken Gemüsemärkte mit einer großen Auswahl. Dazu trugen auch die Nutzgärten in und um die Städte herum bei. Sowohl Salat, als auch gesottenes Gemüse wie beispielweise Artischocken wurden gern gegessen. Oft wurden auch Obst und Gemüse in Gerichten kombiniert, so gab es ein Rezept für Erbsensuppe mit Pflaumen oder gehackte Kalbszunge mit grünen Äpfeln. Mit Freude kombinierte man auch exotische Geschmäcker, wie in dem Zitronen-Granatapfelsalat.

Eier waren eines der günstigsten Lebensmittel. Ein Sprichwort besagte: „Ein gebratenes Ei ist der Trost der Armen“. Beliebt war auch das Kräuteromelette.

Während das Brot der Armen (aus Roggen, Gerste und sogar Bohnen) als ungenießbar galt, sorgten die Bäcker für eine große Vielfalt an Backwaren.

Auch Fische kamen regelmäßig auf den Tisch, vor allem der Hering, dem gerade Holland durch die Heringsflotte einen Teil seines Reichtums zu verdankte. Kabeljau und Stockfisch waren ebenfalls beliebt. Austern, Hummer und Krabben waren vor allem für die Bewohner der am Meer liegenden Provinzen billig und leicht erhältlich.

Süß durfte es ebenfalls sein. Zunächst wurde mit Honig gewürzt, mit der Zeit wurde jedoch der Zucker aus Westindien erschwinglich. Mitte des siebzehnten Jahrhunderts waren in Amsterdam bereits mehr als fünfzig Zuckerraffinerien in Betrieb. Apotheker stellten Torten her, Marzipan und kandierte Früchte. Bäcker fertigten Pasteten in allen Varianten, Kekse und Biskuits. Prediger kritisierten bald den „Kult der lekkerheid“. Dem Zucker folgte die Zahnfäule, so soll Rembrandt ein „dentaler Krüppel“ gewesen sein. Oft wurden süß und herzhaft auch wild kombiniert. So nennt Manon Henzen in ihrem „Kookboeck van de Gouden Eeuw“ den damalige Reis-Käse-Kuchen einen „Kuchen mit einem Identitätsproblem“.

Wasser wurde hauptsächlich zum Verdünnen der Getränke verwendet. Man trank meistens

Bier (Einfaches oder das Doppelte mit einem höheren Alkoholgehalt). Wein wurde von überallher importiert, besonderer Beliebtheit erfreuten sich Rheinwein und Bordeaux. Seit dem sechzehnten Jahrhundert wurde der Wachholderschnaps Genever hergestellt.

Vor allem gegen Ende des 17. Jahrhunderts fiel ausländischen Besuchern immer wieder die Trunkenheit der Niederländer auf. Der englische Botschafter William Temple war überzeugt, dass das drückende Klima die Niederländer zum übermäßigen Trinken treibe. Limonade und Würzwein ergänzten die Tafel. Zu besonderen Gelegenheiten, wie im Wochenbett, wurde Kandeel gereicht, eine Art Punsch aus Eigelb, Nelken und Weißwein. Tee und Kaffee fanden erst ab ca. 1660 Verbreitung und hatten zunächst eine medizinische Bedeutung.

Lebte man im Alltag bescheiden, wurde bei Festen wurde aufgetrumpft. „Bankett und Trinkgelage, unter welchem Vorwand auch immer, sprengen für einen Moment den engen und bedrückenden Rahmen der Familie und stellen grundlegende Äußerungen des gesellschaftlichen Gefüges dar“, urteilt Peter Zumthor in „Das Alltagsleben zur Zeit Rembrandts“. Bei den Festessen siegte oft Masse über Klasse. Ein Beispiel ist das Bankett, das der Amsterdamer Chirurg Nicolas Tulp zu seinem fünfzigjährigen Jubiläum gab. Von zwei Uhr nachmittags bis elf Uhr abends wurden ununterbrochen Speisen aufgetragen.

Simon Schama erinnert in „Überfluss und schöner Schein“ an den Leichenschmaus für den Gastwirt Gerrit van Uyl, bei dem 1660 u.a. 20 Oxhoft französischer Wein und Rheinwein (1 Oxhoft entsprach je nach Ort ca. 206 bis 288 Liter), 70 Fässer Bier, 1110 Pfunde gebratenes Fleisch, 550 Pfund Lendenstücke, 28 Kalbsbrüste, 12 ganze Schafe, 18 große Wildpasteten und 200 Pfund Hackfleisch-Frikadellen serviert wurden. Dazu gab es Weißbrot, Käse, Butter und Tabak in Hülle und Fülle.

An Festtagen hatte die calvinistische Genügsamkeit offenbar Pause. Die Wohlhabenden gönnten sich die teuren, exotischen Gewürze wie Muskat und Pfeffer, die die Vereinigte Ostindische Companie aus der Ferne heranschaffte, teilweise im Übermaß.

Mit dem größeren Reichtum im siebzehnten Jahrhundert verfeinerten sich unter dem Einfluss der französischen Küche die Sitten. Neben Büchern wie „Der tüchtige Koch oder die aufmerksame Hausfrau; die beste Art des Zubereitens, Kochens und Bratens aller Sorgen von Speisen beschreibend“, das 1668 in Amsterdam erschien, kursierten auch französische Nachschlagewerke wie „Der französische Koch“ von La Varenne (1651).

Fassen wir zusammen: war die Küche zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts noch mittelalterlich geprägt, so setzte später eine exotische Deftigkeit ein, die gegen Ende des Jahrhunderts in eine französisch inspirierte Verfeinerung der Sitten überging. Die erste Veränderung rührte von einer enormen Zunahme des Essens von Gemüse und Fürchten her, dazu kamen verstärkt Milchprodukte. Auch die Kochtechniken veränderten sich. Besonders deutlich ist dies bei der Zubereitung von Soßen, erläutern Manon Henzen in „Kookboek van de Gouden Eeuw“.

Jetzt wissen wir mehr über die Ernährung im sogenannten „Goldenen Zeitalter“. Um auf meine Anfangsfrage zurückzukommen: Es scheint, als ob sich die Stillleben-Maler im siebzehnten Jahrhundert von realen Mahlzeiten inspirieren ließen. Gleichzeitig konnten die ausgewählten Objekte aber auch eine metaphorische Bedeutung haben. So stand die Zitrone beispielsweise oft für Mäßigung.

Wer nun Appetit bekommen hat und die Küche der niederländischen Renaissance ausprobieren möchte: im Anschluss finden Sie Rezepte für Hutspot und für Zitronen-Granatapfel-Salat sowie Literaturhinweise.

Rezepte

Zitronen-Granatapfel-Salat

Zutaten für 4 Personen:

4 Zitronen

4 Esslöffel Zucker

1 Esslöffel Orangenblütenwasser

1 Granatapfel

Die Zitronen schälen und von der weißen Haut befreien. In feine Scheiben schneiden. Den Zucker in das Orangenblütenwasser einrühren und in dieser Mischung vorsichtig die Zitronenscheiben wälzen. Aus dem Granatapfel die Kerne herauslösen und davon etwa vier Esslöffel zu den eingelegten Zitronen geben. Mindestens eine Stunde marinieren lassen. Zitronenscheiben wie Carpaccio flach auf einem Teller drapieren. Mit ein paar Granatapfelkernen dekorieren. Zuletzt mit dem Zuckerwasser beträufeln.

Hutspot

750 Gramm weichkochende Kartoffeln

750 Gramm Karotten

1 große Zwiebel

25 Gramm Butter

50 ml Milch

50 ml Brühe (Sabine Weiß verwendet Gemüsebrühe, 1 TL Instantbrühe).

Je 1 Prise Salz und Pfeffer

Kartoffeln und Karotten würfeln und in der Brühe 20 Minuten garkochen. Zwiebel klein schneiden und in Butter glasig andünsten. Brühe dazugeben. Kartoffeln und Karotten abgießen und in die erhitzte Milch geben. Mit dem Kartoffelstampfer zerdrücken und nach Geschmack würzen.

Varianten:

Wenn der „Hutspot“ mit Fleisch serviert wird, kann auch Rinderbrühe verwendet werden.

Der Basis-Hutspot kann nach Wunsch mit Muskat, Petersilie, Schnittlauch, Rindfleisch, Bratwurst, Speck, Spiegelei oder etwas Käse verfeinert werden.

Literaturhinweise:

Henzen, Manon Kookboek van de Gouden Eeuw

Langemeyer, Gerhard/ Peters, Hans-Albert (Hg): Stillleben in Europa, 1980

Schama, Simon Überfluss und schöner Schein – Zur Kultur der Niederlande im Goldenen Zeitalter, 1988

Willebrands, Marleen De verstandige Kok, 2007

Zumthor, Peter Das Alltagsleben zur Zeit Rembrandts, 1992

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