Die Niederlande und Hamburg – zum historischen Hintergrund von „Gold und Ehre“

In Hamburg siedelte sich während der protestantischen Verfolgung im Achtzigjährigen Krieg und insbesondere nach der Aufgabe Antwerpens ebenfalls viele Flamen und Niederländer an. Für etliche Kaufleute lag es nahe, nach Hamburg zu ziehen, wohin sie schon seit Jahrzehnten Handelsbeziehungen pflegten. „Für die Holländer war Hamburg zu Beginn des 17. Jahrhunderts der wohl wichtigste Umschlagplatz ihrer europäischen und überseeischen Handelsware im Norden“, so Hans-Dieter Loose in „Hamburg – Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner“.

Als 1585 die Welthandelsstadt Antwerpen belagert und wieder an das Habsburgerreich angeschlossen wurde, flohen Zehntausende aus der Stadt. Der Hauptgrund für diese Massenflucht reicher und hochqualifizierter Bewohner war, dass sie ihren protestantischen Glauben nicht aufgeben und sich auf keinen Fall zum Katholizismus bekennen wollten. Viele siedelten sich in holländischen Städten an. Vor allem Amsterdam profitierte. Die Stadt wurde durch den tiefen Fall von Antwerpen zur „Krone der Welt“, wie ich es in dem gleichnamigen Roman schildere. Weitere Einwohner gingen nach England, in die Hafenstädte des Ostseeraums oder nach Aachen, Emden, Köln oder Wesel.

Auch waren in Hamburg schon immer Niederländer tätig gewesen, wie der Maler Hans Vredeman die Vries oder der Ingenieur Johann van Valckenburg, der den Ausbau der Wallanlagen und damit den Schutz Hamburgs im Dreißigjährigen Krieg verantwortete.

Hamburg und die Wallanlagen. Von Johannes Mejer – Harvard Map Collection, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=44115121

Und nicht nur das, sondern die Niederländer brachten ganze Gewerke, wie die Seidenweberei, die Haartuchherstellung oder Zuckersiederei und viele mehr in die Stadt. Holländisch wurde zur zweiten Handelssprache. Wie mit anderen Fremden auch, beispielsweise den englischen Merchant Adventurers oder den portugiesischen Kaufleuten, kam es mit den einheimischen Konkurrenten zu Konflikten. Verschärft wurden diese, da etliche der Niederländer keine Lutheraner waren, sondern Calvinisten oder Wiedertäufer. Hamburg erließ z.T. strenge Mandate zur Religionsausübung, zum Erwerb des Bürgerrechts und dem Handel. Im benachbarten dänischen Altona war man toleranter, weshalb hier auf der „Freiheit“ auch die reformierte Kirche errichtet wurde. Der rege Austausch und aktive Handelsverbindungen zwischen Amsterdam und Hamburg war auch durch einen wöchentlichen Schiffsverkehr möglich.

Zu den bekanntesten Niederländern in Hamburg gehört die Familie Amsinck. 1580 floh der Bürgermeistersohn Willem Amsinck (um 1542 bis 1618) aus Deventer. In Hamburg machte er Karriere als Tuchhändler und Kirchgeschworener. Außerdem gehörte er zu den Gründern der Niederländischen Armen-Casse, genauso wie Gilles de Greve, und war Vorsteher des Waisenhauses; auch das ist logisch, waren die Niederländer doch bekannt für ihre fortschrittliche Armenfürsorge (siehe entsprechenden Blog-Artikel zu „Krone der Welt“). Die Niederländische Armen-Casse war 1585 von niederländischen Glaubensflüchtlingen in Hamburg gegründet worden (in Altona bereits 1581). „Hamburgs stille Wohltäterin“ ist eine der ältesten privat initiierten Wohlfahrtseinrichtungen Hamburgs und Deutschlands.

Rudolf Amsinck, von David Kindt – Museum für Hamburgische Geschichte, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=25635291

Das Werk- und Zuchthaus sowie das Waisenhaus in Hamburg wurden auch nach niederländischem Vorbild errichtet. Da die meisten Zuwanderer im Katharinenkirchspiel in der Nähe des Hafens und in der Neustadt unterkamen, setzten sie sich ab 1649 besonders für den Bau des neuen Michel ein.

Amsincks Nachkommen waren ebenfalls in Politik, Reederei und Handel in Hamburg aktiv. Wilhelm Amsinck (1752 bis 1831) brachte es sogar zum Bürgermeister. Heute erinnern an die Familie besonders die Amsinckstraße, der Amsinckpark und die Hamburger Hallig (früher Amsinckkoog). Weitere bekannte Niederländer waren u.a. die Berenbergs.

Es gab andere prominente Flüchtlinge, die nur zeitweise in Hamburg wohnten. So lebte der berühmte Philosoph, Theologe und Rechtsgelehrte Hugo de Groot (oder Hugo Grotius) während seiner Verfolgung einige Jahre in der Hansestadt. Zunächst zog er bei einem Freund, dem Niederländer Julio de Moer in Dockenhuden (heute u.a. Blankenese) ein. Später wohnte er auf der Holländischen Reihe, wo er weniger zufrieden war. „Ich bin hier in einer fremden Einöde. Selbst gelehrte Leute kommen hier nicht zusammen“, wird in dem Artikel „Hugo Grotius‘ Aufenthalt in Hamburg in den Jahren 1632-1634“ von Melitta Grimm aus einem Brief von Hugo de Groot zitiert. Der Gelehrte wurde er an den Hof des dänischen Königs Christian IV. nach Glücksstadt eingeladen. Anschließend zog er zu dem Geistlichen Ahasverus Matthisius aus Deventer, der ein Haus bei der Mühlenbrücke neben der Stadtwassermühle besaß.

Dockenhuden – allerdings mehr als einhundertfünfzig Jahre nach de Groots Aufenthalt. By Heinrich August Grosch – Det Kongelige Bibliotek, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=20489869

Die Universalgelehrte Anna Maria van Schurmann („Der Stern von Utrecht“) hingegen zog es mit der Gemeinde des pietistischen Predigers Jean de Labadie nach Altona, wo dieser 1674 starb. Schurmann wohnte Reichengasse, während Labadie Johannisgasse lebte.

Anna Maria von Schurmann, gemalt von Jan Lievens – National Gallery, London, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=26861112

Schon früher hatte der Lebensstil der Flamen und Niederländer auch Hamburg geprägt, wenn man an norddeutsche Maler denkt, die ihre Ausbildung beispielsweise in Amsterdam, Den Haag (damals oft s’Gravenhage) oder Delft absolvierten, wie Matthias Scheits. Auch wirkten niederländische Maler, wie David t’Kint in Hamburg. Die wohlhabenden und aktiven Neu-Hamburger veränderten aber auch das Stadtbild. Der holländische Baumeister Jan Andressen errichtete das erste Börsengebäude und den Turm der Nikolaikirche. Es entstanden der Holländische Brook und in Altona die Holländische Reihe. Weitere Bürger ließen ihre Häuser beispielsweise nach den Entwürfen von Amsterdamer Architekten errichten und ausstatten. Ziegel, Fliesen und Möbel wurden importiert. Der bekannteste von ihnen war der Architekt Philips Vingboons – viele seiner Amsterdamer Bauten können noch heute bewundert werden -, der nicht nur ein Haus im Grimm (Nr. 25, für die Brüder Borchers, zerstört 1943) entwarf, sondern auch die neue Festung von Schloss Breitenburg (Rantzau, im Umland). Niederländisch inspiriert waren ebenfalls die Häuser Hüxter Nr. 6, Hohe Bleichen 11-13 (abgebrochen vor 1913), Katharinenstraße 10 (zerstört 1943), Schaarmarkt 4-5 (abgebrochen 1905), Neuer Wandrahm 5, 6, 10 und 17 (abgebrochen wegen der Freihafenerweiterung) und viele weitere. Eine besondere Inspiration war für mich „Das alte Schloss“, wie man das herrschaftliche Haus Düsternstraße 51-53 (abgebrochen 1906) nannte, dass ich in „Gold und Ehre“ von „meinem“ Architekten Benjamin bauen lassen – eine Freiheit, die ich mir erlaube, weil der wahre Baumeister nicht bekannt ist. Das Haus lag am heutigen Herrengrabenfleet. An vielen Häusern ließen sich z.T. die Gestaltung der Giebel und Portale mit niederländischen Vorbildern vergleichen.

„Das alte Schloss“ wurde das Haus in der Düsternstraße genannt. Von Hamburg Museum, Stiftung Historische Museen Hamburg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=37877346

Der Hamburger Baumeister Hans Hamelau reiste tatsächlich, wie in „Gold und Ehre“ geschildert, nach Amsterdam, um sich dort über den Bau eines neuen Baumhauses zu informieren; vermutlich hat er dort auch Spinnhaus und Zuchthaus besucht und die Eindrücke in Hamburg verarbeitet. Hamelaus Vorgänger als städtischer Baumeister, Groenefeldt, war übrigens auch Niederländer; seine Arbeiten wurden jedoch wenig gerühmt. Hermann Heckmann widmet in seinem Buch „Barock und Rokoko in Hamburg“ ein ganzes Kapitel den „Bürgerfassaden unter niederländischem Einfluß“. „Hamburg steht im 16. und 17. Jahrhundert mehr als jede andere deutsche Stadt im Banne der niederländischen Kunst und Architektur“, urteilt er.

Leider sind fast alle Bauten der niederländischen Architekten abgerissen oder im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Die Stiftung Niederländische Armen-Casse ist hingegen bis heute aktiv, genauso wie die Nachkommen etlicher Familien niederländischen Ursprungs.

Die Holländische Reihe in der Nähe des Altonaer Rathauses
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