Der Hermaphrodit

Die Zweigeschlechtlichkeit ist ein uraltes Motiv und ein frühes biologisches wie medizinisches Thema. In der Antike bezeichnete die Figur des Hermaphroditos den zyprischen Mondgott. Die fast durchgängige Verknüpfung von Mond und Androgynie erkläre sich daraus, so Achim Aurnhammer in „Androgynie“, dass sich symbolisch der Vollmond in zwei Halbmonde teilt, die sich wieder zum Vollmond vereinigen. Die literarisch bedeutendste Darstellung des Hermaphroditos-Mythos findet sich im vierten Buch in Ovids Metamorphosen, wo sich der schöne fünfzehnjährige Knabe Hermaphroditos (ein Sohn von Hermes und Aphrodite) mit der Nymphe Salmakis vereinigt. Diese ist so vernarrt in ihn, dass sie sich auf ewig mit ihm verbinden möchte – und ein zweigeschlechtliches Wesen entsteht. Die Götter erfüllen diesen Wunsch – und beschließen, dass gleiches fortan mit jedem geschehen soll, der in der Quelle badet.

Immer wieder wurden und werden tatsächlich Zwitter geboren, die in der Antike jedoch als „Störung des normalen Verhältnisses zwischen Göttern und Menschen betrachtet wurden“ (Aurnhammer). Die Zwitter wurden also beispielsweise lebend, in einen Kasten gesperrt und auf See versenkt. In der römischen Kaiserzeit wurde der Hermaphrodit zunehmend erotisiert und in Skulptur und Malerei dargestellt. Diese Faszination setzt sich fort. Kaiser Rudolf II. liebte die Mythologie und ließ seinen Hofmaler Bartholomäus Spranger beispielsweise das Gemälde „Salamakis und Hermaphroditos“ malen. Zudem besaß er ein Kuriositätenkabinett, in dem sich verschiedenste (auch menschliche) Abnormitäten fanden. Okkultismus hatte am Hofe des Kaisers großen Einfluss und Rudolf II. war bekannt dafür, in seinem Laboratorium alchemistischen Experimenten nachzugehen. In der Alchemie und in der Astrologie spielt der Hermaphrodit eine bedeutende Rolle, ihm ist das Element Mercurius (Quecksilber) zugeordnet. Ausführlich beschäftigt sich beispielsweise Michael Maier in „Atalanta fugiens“ damit, der lange Hofarzt von Kaiser Rudolf II. war. „Er (Maier) beruft sich zwar auf poetische Beispiele für Geschlechtsumwandlungen wie Kaineus, Iphis und Teiresias, bekräftigt aber deren Glaubwürdigkeit mit der zeitgenössischen Medizin, die durch chirurgischen Eingriff aus einem Hermaphroditen einen vollkommenen Mann machen könne. Maier bezieht sich dabei auf die chirurgische Kunst des Bologneser Arztes Tagliacozzo“, (Aurnhammer, Androgynie, Seite 123). Es sind Fälle von männlichen Hermaphroditen bekannt, die Kinder gezeugt haben.

In der Neuzeit taucht die Androgynie bei C.G. Jung, Thomas Mann, Robert Musil oder Jeffrey Eugenides („Middlesex“) auf. Der französische Philosoph Michel Foucault beschäftigte sich mehrfach mit dem Hermaphrodit Abel/Herculine Barbin. Den heutigen Stand der Forschung findet man in Lexika übrigens am besten unter dem Stichwort Intersexualität. Für weiterführende Literaturhinweise könnt ihr euch auch an mich wenden.
Abbildung: Salmakis und Hermaphroditos von Bartholomäus Spranger, Kunsthistorisches Museum Wien

Samstag, 2. Februar 2019

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