Blog 2. November 1322 – Die Universität von Paris spricht das Urteil gegen die Medica Jacoba Felicie

Von Etienne Collault – BNF, Français 1537, fol. 27v[1]”Svenska folket genom tiderna. Vårt lands kulturhistoria i skildringar och bilder. Andra bandet. Den medeltida kulturen”. Edited by professor Ewert Wrangel. Published by Tidskriftsförlaget Allhem, Malmö, 1938, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3256779

Jacoba Felicie ist eine der berühmtesten Frauen der frühen Medizingeschichte und zugleich ein Mysterium. Sie tritt nur dieses eine Mal für eine kurze Zeit ins Licht der Öffentlichkeit. Der Prozess der medizinischen Fakultät der Universität Paris gegen die Medica Jacoba aus dem Jahre 1322 ist in den Universitätsprotokollen ausgezeichnet dokumentiert: von der Anklage über die Zeugenaussagen, ihre beherzte und kundige Verteidigung bis zum harten Urteil. Alles, was wir über Jacoba wissen, steht in den Prozessakten. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Schweigen.

Beginnen wir damit, warum der Prozess so interessant ist – und zwar nicht nur für Forscher. Erstens erfahren wir aus den Protokollen viel über praktische medizinische Behandlungsmethoden – und das zu einer Zeit, aus der Augenzeugenberichte Mangelware sind. Zum anderen markiert dieser Prozess die Verdrängung von Frauen und Laien durch Studierte aus Berufsständen wie der Medizin. Natürlich beweist der Prozess, dass im vierzehnten Jahrhundert in Paris etliche Frauen als Heilerinnen und Ärztinnen tätig waren – und zwar so erfolgreich, dass die Universität als Gefahr wahrnahm. Und nicht zuletzt zeichnen die Akten das Bild einer gebildeten, lebensklugen und couragierten Frau, die sich weder von Gelehrten und der Drohung einer hohen Geldstrafe oder der Exkommunikation – also dem Ausschluss aus der Gemeinschaft der Gläubigen – einschüchtern ließ.

Bereits seit 1312 führte die medizinische Fakultät der Universität von Paris Verfahren gegen Frauen. Zeitgleich mit Jacoba standen weitere medizinisch tätige Frauen vor dem Universitätsgericht. Jacoba – in den Akten wird sie als „Domina Jacoba“ angeredet, sie war also vermutlich adelig – wird im August 1322 angeklagt. Als Grund wird genannt, dass sie in Paris und Umgebung Kranke behandelt hat, ohne eine Universität besucht zu haben oder dort zugelassen zu sein und zwar medizinisch und wundärztlich (in arte medicine et chirurgie). Darüber hinaus maße sie sich gelehrte medizinische Kenntnisse an. Insgesamt werden sieben Anklagepunkte gegen sie vorgebracht. Interessanterweise wurde Jacoba nicht vorgeworfen, Patienten geschadet zu haben, sondern sich anzumaßen, wie ein gelehrter Arzt gehandelt zu haben. Madlen Jana Schütte urteilt in ihrem Buch „Medizin im Konflikt“: „Die Fakultät stellte Jacoba als Medizinexpertin dar, auch wenn dies nicht im Interesse der Universitätsmediziner liegen konnte.“ So habe Jacoba die Harnschau vorgenommen, den Puls gefühlt, den Körper untersucht und Medikamente verschrieben. Auch habe sie erst Geld von den Patienten verlangte, wenn die Behandlung anschlug. Das war in einer Zeit, in der Gelehrte wie Petrarca sich darüber beschwerten, dass es den Ärzten nur ums Geldverdienen ging, eine absolute Ausnahme. Ja, mehr noch – es bedrohte letztlich die Honorarpraxis der gelehrten Ärzte und ließ sie als geldgierig erscheinen.

Nach der Anklageerhebung wurden acht Zeuginnen und Zeugen befragt. Eine gewisse Clementia sagte beispielsweise aus, dass sie sehr krank gewesen sei und die Ärzte sie nicht hatten heilen können. Jacoba habe Urin und Puls untersucht und ihr daraufhin eine Arznei aus Kräutern verschrieben. Auch der Dominikanerbruder Odo berichtete über die Behandlung durch Domina Jacoba. Ebenfalls hatten ihm zuvor andere Ärzte nicht helfen können. Die Medica habe ihm nach der Untersuchung Dampfbäder verordnet, dazu Ölmassagen und Umschläge mit Kamille und Steinklee, bis seine Gesundheit wieder hergestellt gewesen sei.

Mich hat an den Akten besonders berührt, dass sich im Laufe des Prozesses so viele dankbare Patienten für Jakoba aussprachen – und sich kein einziger Zeuge gegen sie fand.

Vor der Urteilsverkündung erhielt Jacoba die Gelegenheit, sich zu äußern. Sie betonte in ihrer Rede, dass das Behandlungsverbot der Universität nicht sie beträfe, sondern lediglich ungebildete Heiler. Sie hingegen verfüge über große Erfahrung in der Ausübung der Medizin (experta in arte medicine). Gleichzeitig behandle sie auch Frauen, die von den männlichen Ärzten vernachlässigt worden oder Vorbehalte ihnen gegenüber hätten, und die ansonsten sterben würden.

Das Gericht ließ sich jedoch weder von den Zeugen noch durch Jacobas eloquente und fundierte Verteidigungsrede beeindrucken. Die Argumente der Richter: Frauen dürften nicht als Ärzte praktizieren, Jacoba habe keine medizinischen Vorlesungen besucht, sie könne die medizinischen Bücher nicht lesen, weil sie kein Latein könne.

Die verhängte Strafe war hart: eine Geldstrafe von sechzig Pariser Pfund, Berufsverbot und der Ausschluss aus der Gemeinschaft der Gläubigen.

Wir wissen nicht, wie Jacoba weiterlebte und weiterarbeitete, denn nach diesem Urteil verliert sich ihre Spur wieder.

Als ich auf diesen Fall stieß, stellten sich mir viele Fragen. Jacoba wurde als Adelige angeredet, später kam der Namenszusatz „de Almania“ hinzu, sie kam also aus dem deutschsprachigen Raum. Aber wo wurde sie geboren? Wo erwarb sie ihre beeindruckenden medizinischen Kenntnisse? In einem Kloster vielleicht, die damals – denken wir an Hildegard von Bingen – Hort medizinischer Kenntnisse waren? Oder vielleicht sogar an der Universität von Salerno, wo auch Frauen ausgebildet wurden? Wie kam sie nach Paris? Wohin ging sie nach der Urteilsverkündung?

Mein historischer Roman „Die Arznei der Könige“ erzählt auf Basis eingehender Recherchen meine Version von Jacobas Leben und verbindet dieses mit der Geschichte des berühmtesten Heiltranks des Mittelalters: des Allheilmittels Theriak. Natürlich könnte die Wahrheit ganz anders ausgesehen haben. Vielleicht wird man eines Tages in einem Stadtarchiv mehr über diese geheimnisvolle Medica herausfinden – ich würde mich am meisten über diesen Fund freuen.

Auf jeden Fall war es ein Vergnügen, auf der Basis dieses Prozessprotokolls Jacobas Lebensgeschichte zu recherchieren und auszufantasieren. Als ich für meinen Roman die antiken und mittelalterlichen Schriften las, war ich erstaunt, den ganzheitlichen Ansatz und viele Rezepte der heutigen (Alternativ-)Medizin wiederzuerkennen. Auch die Sehnsucht nach einem Allheilmittel – den legendären Heiltrank Theriak gab es immerhin von der Antike bis ins neunzehnte Jahrhundert, in Teilen bis heute – hat etwas sehr Zeitgemäßes. Nicht nur in dieser Hinsicht ist Jacobas Geschichte auch nach beinahe siebenhundert Jahren brandaktuell. 

Literaturhinweise:

  • Chartularium Universitatis Parisiensis (Prozessprotokolle, Band 2, Seite 255 bis 267)
  • Amt, Emilie (Hg.) – Women’s Lives in Medieval Europe. A Sourcebook
  • Green, Monica H. – Getting to the Source , Dies. – Women’s medical practice and health care in medieval Europe
  • Kibre, Pearl – The Faculty of Medicine at Paris, Charlatanism, and unlicensed medical practices in the later middle ages
  • Talbot, C. H. – Dame Trot and her Progeny
  • Schütte, Jana Madlen – Medizin im Konflikt
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